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Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Powell
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Romance
     
     
     
     
Wenn es Ihnen widerstrebt, einen lebenden Hummer zu
dämpfen oder zu zerteilen, können Sie ihn auch unmittelbar
vor dem Kochen töten, indem Sie ihm ein spitzes
Messer in den Kopf zwischen die Augen stoßen oder
mit einem kleinen Schnitt durch den Rückenpanzer an
der Verbindungsstelle zwischen Brust und Schwanz das
Rückenmark durchtrennen.
     
Mastering the Art of French Cooking, Bd. 1

130. TAG, 201. REZEPT

    Hummer werden doch geschossen, oder?
    T ante Sukie packt mich an den Oberarmen und schüttelt mich sanft. »Oh, Sarah, Sarah, Sarah! Was sollen wir bloß mit dir machen?«
    (Tante Sukie ist nicht senil, sie weiß, wie ich heiße. Sarah ist mein Spitzname. Die Kurzform von Sarah Bernhardt. Ich weiß nicht, wie es dazu kam. Ich weiß nicht mal, warum in aller Welt jemand noch wissen sollte, wer Sarah Bernhardt ist. Ich weiß es ja auch nur, weil ich mein Leben lang diesen Spitznamen trug.)
    »Was meinst du?« Ob sie eine spitze Bemerkung über meine Oberarme macht? Ich habe Tante Sukie nicht mehr gesehen, seit ich an Weihnachten in Texas war, und seither sind meine Arme etwas fülliger geworden.
    »Ich war am Computer und hab gelesen, was du dir da vorgenommen hast!«
    Ich zucke ein wenig zusammen. Tante Sukie ist Lehrerin in Waxahachie, Texas, und einer jener klugen, freundlichen Menschen, die einen verwirren, weil sie trotzdem unverdrossen republikanisch wählen. Außerdem bleibt sie, anders als alle anderen im engeren Familienkreis, immer höflich. Einmal hat Tante Sukie in ihrer Englisch-Klasse einen von mir verfassten Aufsatz über »Der große Gatsby« verteilt; weiß der Himmel, wie der in ihre Hände kam. Ich habe das dumpfe Gefühl, Links zu meinem Blog würde sie an ihre Schüler nicht weitergeben.
    Doch sie denkt weder an meine Waschfrauenarme noch an mein Marktweibermundwerk. Sie beugt sich zu mir und flüstert: »Du machst deiner Mutter Sorgen. Arbeite nicht so viel!«
    Genau solche Sätze hat meine Großmutter bis zu ihrem Tod zu meiner Mutter gesagt. »Du tust zu viel, du werkelst dich noch halb zu Tode!«
    Das machte meine Mutter immer vollkommen verrückt. »MOM! Erzähl du mir nicht, was zu viel ist. Ich sag schon, wenn es mir zu viel wird, verdammt noch mal !« (Meine Mutter und meine Großmutter stritten sich über viele Dinge - Wäsche, Eis, Schwarze, Fernsehen. Aber dass meine Mutter zu viel um die Ohren hatte, war ein Lieblingsthema, weil Granny dann ihre mütterliche Ader herauskehren und Mom so tun konnte, als sei alles halb so wild.) Mehr als alles andere fürchtet meine Mutter, sie könne so werden wie ihre Mutter, und so will sie mich vermutlich wegen meines verrückten Kochprojekts nicht zu scharf kritisieren. Deshalb hat sie ihre Schwägerin darum gebeten. Offenbar wollte sie unbedingt zu mir durchdringen, sonst hätte sie Tante Sukie das Blog nicht gezeigt. Sie wusste ja, dass die Tante nicht begeistert sein würde, wenn ich zum Beispiel bei verschnürtem Geflügel an Fetischismus dachte.
    Aber komischerweise bin ich überhaupt nicht sauer. Im Grund gibt es mir das Gefühl, dass sich jemand um mich sorgt. Und dass die Kette nicht abreißt, genmäßig. Ich nehme meine Tante in den Arm. »Es geht mir gut. Mach dir keine Sorgen.«
    Es ist immer schön, nach Hause zu kommen. In der Badewanne gibt es keinen Schimmel, und man kann duschen, so lang man will, das Wasser bleibt immer heiß. Man schläft in einem überbreiten Bett, nachts donnern keine Schwerlaster vorbei, im Fernsehen gibt es hundert Kanäle, und der Computer hat Breitbandzugang. Am Heiligen Abend stellen wir die Heizung aus, damit wir Feuer im Kamin machen können. Es gibt Bäume - nicht nur in kleinen Betontrögen am Gehsteig, sondern überall. Es ist herrlich hier.
    Ich glaube, ich fahre gar nicht mehr zurück.
    Ja, New York ist eine stinkende, chaotische, zermürbende Jauchegrube, und Austin, Texas, ist ein grünes, friedliches Paradies, aber das ist nicht das eigentliche Problem - na ja, zumindest nicht das einzige. Nein, die Wahrheit lautet: Ich bin auf der Flucht.
    Im Dezember 2002 wütete ich auf Geheiß von Julia Child zwei Wochen lang als Mörderin. Ich beging grausame, brutale Taten, und meine Opfer waren auch in der dunkelsten Ecke von Queens oder Chinatown nicht vor meinem teuflischen Zugriff sicher. Wenn in der Lokalpresse nichts über das Gemetzel stand, so nur deshalb, weil meine Opfer nicht katholische Schulmädchen oder philippinische Krankenschwestern waren, sondern Krustentiere.

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