Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Golfturnier an, den Lautsprecher wie für ein Metallica-Konzert aufgedreht. Die Titleist -Werbung brachte die Fensterscheiben zum Klirren. Als ich mich wieder in die Küche wagte, waren die Hummer schon sehr rot und machten keinerlei Spektakel mehr. Julia schreibt, sie seien fertig, »wenn man die langen Kopffühler ziemlich leicht aus ihrer Verankerung ziehen kann«. Das konnte man. Arme kleine Viecher. Ich holte sie aus dem Topf und ließ den Sud mit etwas Pilzfond einkochen. Den reduzierten Sud goss ich durch ein Sieb, vermutlich um verirrte Kopffühlerstückchen oder dergleichen auszusondern, dann rührte ich ihn in eine helle Mehlschwitze aus Butter und Mehl.
Wenn Eric und ich einmal ein Verbrechersyndikat gründen, wird er für Mord verantwortlich sein, und ich kümmere mich um die Zerstückelung. Der nämliche Kerl, der nüchtern und rücksichtslos zwei Krustentiere von ihrer irdischen Mühsal befreit hatte, musste aus dem Zimmer gehen, als ich vorlas, dass ich als Nächstes die Hummer der Länge nach spalten müsse, wobei die Schalenhälften intakt bleiben sollten.
Es war gar kein Problem, wirklich nicht. Ausnahmsweise verwies Julias unbekümmert knappe Formulierung diesmal nicht auf eine bevorstehende Katastrophe. Das Messer fraß sich knirschend durch. Freilich war das Innere nicht so sauber durchtrennt, wie es sich gehört hätte. Wenn Julia schreibt: »... den Kaumagen im Kopf und den Darmkanal entfernen«, konnte ich immerhin von einer fundierten Annahme ausgehen. Den Kaumagen, ein Hautsäckchen voller Kies, erkannte ein Blinder mit Krückstock. Aber dann hieß es, »die korallenrote und grünliche Substanz durch ein feines Sieb treiben«, und das machte mich ein bisschen ratlos. Es gab jede Menge grünliche Substanz, doch was war diese »grünliche Substanz«, und warum erklärte Julia das nicht? Das einzige orangefarbene Zeug, das ich sah, befand sich dort, wo wahrscheinlich die Hummerscheiße rauskommt, das wollte ich nicht riskieren. Danach löste ich Stück um Stück das Fleisch aus, knackte die Scheren mit einer Pinzette (natürlich nachdem ich sie sorgfältig von Augenbrauenhärchen gereinigt hatte) und zog die Fleischstreifen aus den Beinen. Die durchpassierte »grüne Substanz« wurde mit Eigelb, Sahne, Senf und Cayennepfeffer verrührt, in die Hummerbrühe-Mehlschwitze gegossen und aufgekocht. Das Fleisch briet ich in etwas Butter an, goss Cognac dazu und ließ ihn einkochen. Dann rührte ich die gedünsteten Champignons darunter und zwei Drittel der Sauce. Diese Mischung füllte ich in die vier Hummerhälften, träufelte den Rest der Sauce darüber, bestreute sie mit Parmesan und Butterflöckchen und schob sie unter den Grill.
Ich muss sagen, es war köstlich.
Eine Woche später pirschte ich mich an einem regnerischen Abend in Chinatown an mein drittes Opfer ran. Ich fiel nicht weiter auf zwischen den wuselnden Weihnachtseinkäufern, die sich noch rasch eine imitierte Nobelhandtasche besorgten, und den Regenschirmstechern, deren Mordlust viel offenkundiger war als meine. (Regenschirmstecher in Chinatown haben den entscheidenden Vorteil, dass sie von kleiner Statur sind. Wenn es regnet - und in Chinatown regnet es immer -, muss man zügig gehen, sonst läuft man Gefahr, ein Auge zu verlieren.) Das Geschöpf gab seine tastenden Bewegungen fast sofort auf, als der Verkäufer es in eine Plastiktüte steckte, diese in eine etwas größere Papiertüte fallen ließ und sie mir gegen sechs Dollar aushändigte. Der Gedanke machte mich etwas nervös, dass das Ding in der U-Bahn womöglich um sich schlagen und die Aufmerksamkeit der anderen Fahrgäste auf sich ziehen könnte. Aber es hockte ganz friedlich da, wie eine Tüte mit Lebensmitteln.
Als ich heimkam, linste ich zu dem Hummer hinein, um zu sehen, wie es ihm ging. Die innere Plastiktüte hatte sich festgesaugt und war beschlagen. Sie sah aus, als käme sie in einem Fernsehspiel der 80er Jahre vor, wo eine erschöpfte Schauspielerin eine Überdosis Tabletten schluckt und sich mit einer Macy’s-Tüte das Leben nimmt. Ich riss die Tüte auf, um ein wenig Luft reinzulassen - damit diese Unterwasserkreatur besser atmen konnte? -, dann schob ich sie ins Gefrierfach. Ersticken ist schlimmer als erfrieren ist besser als lebend gekocht werden...? Vielleicht hatte die Vorfreude auf das abendliche Blutbad schon mein Gehirn erweicht, denn die philosophischen Komplikationen rund um den Hummermord erwiesen sich als zu viel für mich, ich vermochte sie
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