Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
geschminkt. Martin schleppte eine Tüte mit Geschenken an und trug wie immer einen Anzug, der ihn unsichtbar machte. Als Isabel zur Tür hereinkam, sagte sie als Erstes: »Du Schurkin! Deine Fans sind ganz verzweifelt. Was gibt es denn heute Abend zu essen?«
»Nichts«, seufzte ich betrübt. »Zumindest nichts, was ich gekocht hätte. Mom lässt mich nicht an den Herd.«
»Was?!«
»Sie hat einen Büfettkorb aus dem Central Market geholt.«
Isabel packte mich am Arm. »Okay, Julie, lass mich nur machen.«
Eins muss man sagen: Isabel hat ein rasantes Mundwerk, sie kann einem Eskimo Eis verkaufen. Außerdem ist sie hartnäckig. Sie bearbeitete meine Mutter den ganzen Abend, schob sich bei den Drinks neben sie, trieb sie in der Küche in die Enge. Unmöglich, darüber hinwegzusehen.
»Na, Elaine, sind Sie nicht stolz auf das, was Julie macht? Ich finde sie göttlich !«
»So?«
»Un-be-dingt. Sie haben doch sicher die Kommentare gelesen? Julie wird regelrecht verehrt! Sie inspiriert die Leute im ganzen Land!«
»Ja... ich weiß auch nicht...«
In Wirklichkeit hatte meine Mutter nie viel über die Leute nachgedacht, die lasen , was ich tat. Sie selbst las treu meine Einträge, betrachtete sie aber eher wie ein Krankenblatt oder eine Fieberkurve, sie überflog sie auf der Suche nach Anzeichen für einen drohenden Zusammenbruch.
»Für Sie kommt das natürlich nicht überraschend - die Foster-Frauen können ja alles.«
(Foster ist mein Mädchenname. Unter der Hand voll Frauen in meiner gesellschaftlichen Schicht, die in meinem Alter schon verheiratet waren, wurden jene, die auch noch den Namen ihres Mannes angenommen hatten, als wahre Monstren betrachtet.)
»Kann sein. Aber ich mach mir Sorgen, Isabel. Sie ist so stur, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, und sie setzt sich mit dieser Sache selbst so sehr unter Druck...«
»Ach, Elaine! Wann hat Julie irgendetwas mal nicht glänzend bewältigt? Denken Sie nur an das Drill-Team!«
»Davon rede ich ja. Damals hat sie zwanzig Pfund abgenommen und sich jeden Abend in den Schlaf geweint!«
» Genau. Und sie hat ein Jahr lang nur Smarties gegessen und Cola getrunken, und wir dachten alle, sie bringt sich um, aber sie hat sich wieder berappelt. Hey, wissen Sie eigentlich, dass Henry ihr Blog liest?«
Henry war mein Exfreund, der es mir vor elf Jahren in der Highschool so übel genommen hatte, dass ich ihn wegen Eric verlassen hatte. Mom hatte ihn immer sehr gern gehabt.
»Wirklich?«
»Ja. Der ist auch richtig stolz auf Julie.«
»Das ist nett von ihm.«
»Ihre Tochter macht da was ganz Tolles. Sie kocht für unsere Sinne!« (Das war Isabels neuer Lieblingsspruch. Sie wollte schon T-Shirts bedrucken lassen.) Sie schob sich eine mit Chipotle gegrillte Garnele in den Mund. »Das schmeckt echt gut. Dafür, dass es fertig gekauft ist.«
Nun mischte sich Heathcliff ein (ausgerechnet er!), bevor Isabel alles Erreichte wieder zunichte machte. »Ich glaub nicht, dass Julie wirklich durchdreht. Ich meine, für Julies Verhältnisse. Ich hab gesehen, wie sie zwölf Artischocken zerteilt hat, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war geradezu unheimlich.«
»Aber ich lese es doch! Ich sehe ja, was sie macht. Sie nimmt sich zu viel vor!«
Heathcliff wusste schon immer, wie man einen Streit beendet, und er ist hochbegabt im Stirnrunzeln. »Mom, du weißt, dass du jetzt genau wie Granny klingst. Das machst du doch absichtlich, oder?«
Das saß. Noch am selben Abend gab sich meine Mutter unter vielem Seufzen und Augenverdrehen geschlagen. Wenn ich unbedingt kochen müsse , dürfe ich vielleicht an Silvester etwas machen.
»Danke, Isabel.«
»Gern geschehen. Kein zu hoher Preis, wenn dafür das Kochprojekt am Leben bleibt, findest du nicht? Aber hör zu, ich muss dir etwas erzählen.« Sie griff nach meiner Hand und schleppte mich hinaus auf die hintere Terrasse. Es war herrlich lau hier draußen, zumindest kam es mir mit meiner abgehärteten New Yorker Haut so vor, denn Isabel erschauerte in ihrem Tüllkleid, als sie mich zu den Adirondack-Stühlen zerrte und verdächtig nach einer Frau mit einem Geheimnis aussah. Wir setzten uns, und sie beugte sich flüsternd zu mir.
»Weißt du noch, der Traum, von dem ich dir gemailt habe, mit dem Dildo? Ich hatte Recht, es war eine Vorahnung.«
»Hm. Und zwar?«
»Es gibt da jemanden, Jude heißt er. Er spielt Gitarre in einer Punk-Band in Bath, in England. Ich habe ihn über die Richard-Hell-Fan-Site kennen gelernt. Seine
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