Juliet, Naked
nicht gut kannten, das richtige Wohlfühl-Essen
zu kaufen.
»Hot Dogs?«
»Yeah.«
»Ich weiß, dass du die magst. Ich wollte wissen, ob du meinst, dass Lizzie sie mag.«
»Weiß ich nicht.«
Es gab auch keinen Grund, warum er es wissen sollte.
»Ich hab schon wieder vergessen, wer sie ist«, sagte Jackson. »Tut mir leid.«
»Sie ist deine Schwester.«
»Ja … das weiß ich«, meinte der Junge. »Aber wieso ?«
»Du weißt doch, was eine Schwester ist«, sagte Tucker.
»Nicht die Art Schwester.«
»Sie ist so wie jede andere Art auch.«
Aber das stimmte natürlich nicht. In den Augen eines sechsjährigen Jungen war eine Schwester jemand, den man am Frühstückstisch
sah – man stritt sich mit ihr über das Fernsehprogramm, man drückte sich vor ihrer Geburtstagsparty, weil die so rosa war,
und ihreFreundinnen kicherten immer einen Sekundenbruchteil, bevor man das Zimmer verließ. Das Mädchen, das nun zu ihnen kam, war
zwanzig, und vorher noch nie bei ihnen gewesen. Jackson hatte bisher noch nicht einmal ein Foto von ihr gesehen, daher konnte
man wohl kaum von ihm erwarten zu wissen, ob sie Vegetarierin war. Es war aber auch nicht so, dass Jackson zum ersten Mal
eine geheimnisvolle Schwester oder einen geheimnisvollen Bruder vorgesetzt bekam. Vor ein paar Jahren hatte Tucker ihn mit
Zwillingsbrüdern bekannt gemacht, von denen er bis dato nichts gewusst hatte, die allerdings auch beide nicht zu einem dauerhaften
Bestandteil seines Lebens geworden waren.
»Tut mir leid, Jackson. Sie muss auf dich ja wie eine andere Art Schwester wirken. Sie ist deine Schwester, weil ihr denselben
Dad habt.«
»Wer ist denn ihr Dad?«
»Wer? Was glaubst du wohl? Wer ist denn dein Dad?«
»Du bist also auch ihr Dad?«
»Genau.«
»So wie du Coopers Dad bist?«
»Jau.«
»Und Jesses?« Cooper und Jesse, die beiden Zwillingsbrüderrekruten von vorhin.
»Jetzt hast du’s.«
»Und wer ist diesmal die Mum?«
Jackson stellte die Frage mit einem solch schmerzlichen Lebensüberdruss, dass Tucker lachen musste.
»Diesmal ist es Natalie.«
»Natalie aus der Vorschule?«
»Ha! Nein. Nicht Natalie aus der Vorschule.«
Einen kurzen und nicht unwillkommenen Moment sah Tucker Natalie aus Jacksons Vorschule vor sich. Siewar eine neunzehnjährige Hilfslehrkraft, blond und immer gut gelaunt. There was a time, wie James Brown mal gesungen hat.
»Welche dann?«
»Du kennst sie nicht. Sie lebt jetzt in England. Als ich sie kannte, wohnte sie in New York.«
»Und was ist mit meiner Schwester?«
»Sie hat bislang bei ihrer Mom in England gelebt. Aber jetzt geht sie hier in Amerika zur Uni. Sie ist sehr klug.«
Alle seine Kinder waren klug, und er war stolz auf ihre Intelligenz – unberechtigterweise vielleicht, da er eigentlich nur
an Jacksons Erziehung beteiligt gewesen war. Vielleicht konnte er sich zumindest gutschreiben, immer nur kluge Frauen zu schwängern?
Nein, wohl eher nicht. Weiß Gott, er hatte auch mit ein paar echten Hohlköpfen geschlafen.
»Wird sie mir was vorlesen? Cooper und Jesse lesen mir immer was vor. Und Gracie auch.«
Grace war eine weitere Tochter, seine älteste: Tucker konnte nicht einmal ihren Namen hören, ohne zusammenzuzucken. Er war
Lizzie, Jesse und Cooper ein schlechter Vater gewesen, aber seine Unzulänglichkeit erschien ihm irgendwie verzeihlich; zumindest
er verzieh sie sich, die involvierten Kinder und Mütter waren da weniger nachsichtig. Grace jedoch … Grace war ein anderer
Fall. Jackson hatte sie bislang einmal getroffen, und Tucker hatte während des ganzen Besuchs Blut und Wasser geschwitzt,
obwohl seine älteste Tochter genauso reizend gewesen war wie ihre Mutter. Das machte alles irgendwie noch schlimmer.
»Warum liest du ihr nicht vor? Das würde sie beeindrucken.«
Er legte Frankfurter Würstchen in denEinkaufswagen und nahm sie dann wieder raus. Wie viel Prozent der klugen Mädchen lebten vegetarisch? Doch sicher nicht jede
zweite, oder? Das hieß, die Chancen standen gut, dass sie Fleisch aß. Er legte die Würstchen zurück in den Wagen. Das Blöde
war, dass selbst junge Fleischesserinnen kein rotes Fleisch aßen. Na ja, Frankfurter waren rosa-orange. Galt rosa-orange als rot? Er war sich ziemlich sicher, dass dieser seltsame
Farbton eher durch Chemie als durch Blut zustande kam. Chemikalien aßen Vegetarier doch, oder? Er nahm sie wieder in die Hand.
Er wünschte sich, er hätte eine trinkfeste, dreißigjährige Autoschlosserin
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