Juliet, Naked
gezeugt, die irgendwo in Texas lebte. Dann müsste
er bloß Steaks, Bier und eine Stange Marlboro kaufen, und fertig wär die Laube. In diesem Fall hätte er allerdings irgendwann
mal eine attraktive dreißigjährige texanische Kellnerin schwängern müssen, doch Tucker hatte seine Jugend an leichenblasse
englische Models mit Wangenknochen statt Brüsten verschwendet, und dafür musste er nun bezahlen. Was hatte er sich dabei nur
gedacht?
»Was machst du denn da, Dad?«
»Ich weiß nicht, ob sie Fleisch isst oder nicht.«
»Warum sollte sie denn kein Fleisch essen?«
»Weil manche Menschen glauben, dass es falsch ist, Fleisch zu essen. Und andere glauben, es sei ungesund. Und manche glauben
beides.«
»Was glauben wir?«
»Ich glaube, wir glauben beides, nehmen es aber nicht ernst genug, um uns danach zu richten.«
»Warum glauben manche Menschen, das wär ungesund?«
»Sie glauben, es wäre schlecht fürs Herz.« Vom Darm wollte er Jackson gar nicht erst erzählen.
»Das Herz kann einfach aufhören zu schlagen? Wennman Fleisch gegessen hat? Aber du isst doch Fleisch, Dad.«
Es war ein ängstliches Zittern in Jacksons Stimme, und Tucker verfluchte sich im Stillen. Das hätte er kommen sehen müssen.
Jackson hatte kürzlich herausgefunden, dass sein Vater irgendwann in der ersten Hälfte des einundzwanzigsten Jahrhunderts
sterben würde, und seine verfrühte Trauer um ihn konnte jederzeit und durch praktisch alles ausgelöst werden, die Grundsätze
des Vegetarismus eingeschlossen. Was es noch schlimmer machte, war, dass Jacksons existenzielle Panik mit Tuckers eigener
zusammenfiel und sie verstärkte. Sein fünfundfünfzigster Geburtstag hatte irgendwie einen akuten Anfall von Melancholie hervorgerufen,
und Tucker sah nicht, dass einer der noch kommenden Geburtstage Besserung bringen würde.
»So viel Fleisch ess ich gar nicht.«
»Das ist gelogen, Dad. Du isst Unmengen. Heute Morgen hast du Bacon gegessen. Und gestern Abend hast du Burger gebraten.«
»Ich sagte nur, dass manche Menschen so was glauben. Ich habe nicht gesagt, dass es stimmt.«
»Und warum glauben wir es dann? Wenn es gar nicht stimmt?«
»Wir glauben auch, dass die Phillies jedes Jahr die World Series gewinnen, obwohl das nicht stimmt.«
»Ich glaub da nie dran. Du sagst mir immer nur, ich soll das glauben.«
Er legte die Würstchen ein letztes Mal zurück ins Regal und zog Jackson rüber zum Geflügel. Hühnerfleisch war weder rosa noch
orange, und er konnte Jackson erzählen, dass es gut für die Gesundheit wäre, ohne sich allzu verlogen vorzukommen.
Sie fuhren nach Hause, luden die Einkäufe ab und fuhren gleich weiter nach Newark, um Lizzie abzuholen. Tucker hoffte, er
würde sie mögen, doch die Zeichen standen nicht gut: Sie hatten sich eine Zeit lang gemailt, und sie hatte einen zornigen,
komplizierten Eindruck auf ihn gemacht. Er musste allerdings zugeben, dass es nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie ein zorniger
und komplizierter Mensch war : Seine Töchter hatten ihm nie ganz verziehen, wie er bei seinen ersten Kindern die Vaterrolle interpretiert hatte – nämlich,
indem er durch Abwesenheit glänzte. Und er lernte gerade, dass einige seiner Kinder immer ausgerechnet dann wieder bei ihm
vorstellig wurden, wenn in ihrem eigenen Leben oder dem ihrer Mütter irgendein dramatischer Wendepunkt anstand, was die Besuche
belastete. Er versuchte gerade, seine eigene Selbstbespiegelung herunterzufahren, da musste er sie wirklich nicht noch importieren.
Auf der Fahrt zum Flughafen quasselte Jackson über die Schule, Baseball und den Tod bis er einschlief, und Tucker hörte eine
alte R&B-Kassette, die er im Kofferraum gefunden hatte. Es war nur noch eine Handvoll Kassetten übrig, und wenn die auch noch
kaputtgingen, würde er wohl das Geld aufbringen müssen, einen neuen Wagen zu kaufen. Auto fahren ohne Musik war für ihn unvorstellbar.
Er sang bei den Chi-Lites mit, leise, um Jackson nicht aufzuwecken, und dachte über die Frage nach, die ihm diese Frau in
ihrer E-Mail gestellt hatte: »Das bist du nicht wirklich, oder?« Doch, er war es, da war er sich fast sicher, aber aus irgendeinem
Grund piesackte ihn der Gedanke, wie er es ihr beweisen könne: Seiner Meinung nach gab es da keine einzige gute Lösung. Es
gab kein Detail in seinem musikalischen Schaffen, das so trivial war, dass es von diesen Leuten nicht bemerkt worden wäre,
daher würde esnichts bringen, ihr zu verraten,
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