Juliet, Naked
davon hatte überzeugen lassen, dass es eine Vergangenheit
oder Gegenwart gab, die es wert war, ausgestellt zu werden? Duncan und sie hatten nie etwas anderes gesehen als die kulturelle
Wüste, und eine kulturelle Wüste konnte man nicht ins Museum stellen.
Ja, sie sollte hier wegziehen, und eigentlich wollte sie es auch. Es hielt sie nichts mehr in Gooleness, genau wie Terry gesagt
hatte, abgesehen von der nagenden und höchstwahrscheinlich irrigen Überzeugung, sie sei ein netterer Mensch als solche, die
von hier wegzogen.
Duncan wusste, dass sie um sechs nach Hause kam, deshalb erschien er um drei Minuten nach sechs. Annie wiederum hatte darauf
Wert gelegt, schon um viertel vor da zu sein, damit sie Dinge tun konnte, die sich später als überflüssig herausstellten.
Sie brauchte nicht so lange, wie sie angenommen hatte, um ihren Mantel aufzuhängen, und es war auch nicht nötig, das Foto
am Kühlschrank erst acht Zentimeter nach links zu verschieben, dann doch lieber acht nach rechts und schließlich wieder dorthin,
wo es die ganze Zeit gehangen hatte.
Er sah überhaupt nicht hin. Er sah nirgendwohin.
»Du wusstest wahrscheinlich die ganze Zeit, dass ich einen schrecklichen Fehler mache«, sagte er, als sie ihn fragte, ob er
einen Keks wolle. Er saß über seinen Teegebeugt und starrte auf den Griff seines »bLIAR«-Bechers. (Sie hatte schon überlegt, ihm einen anderen zu geben, falls ihn
dieser weinerlich machte, doch er hatte ihn gar nicht registriert.) »Tatsache ist, es wäre so oder so ein schrecklicher Fehler
gewesen, auch, wenn ich die ganzen Jahre Single gewesen wäre. Auch wenn ich so verzweifelt nach, nach …«
Annie starrte in ihren eigenen Becher. Sie hatte nicht die Absicht, nach Gina zu fragen.
»Weißt du, es ist so … ich fürchte, sie ist vielleicht nicht ganz normal.«
»Du solltest nicht so hart gegen dich selbst sein.«
»Ich weiß, das ist als Witz gemeint. Aber um ehrlich zu sein, das ist mit einer der Gründe für meinen Verdacht. Sie benimmt
sich, als wäre es eine Art Wunder, dass wir uns gefunden haben. Dass sie diesen Job am College angenommen hat, dass ich dort
nur auf sie gewartet habe. Na ja, ich weiß doch, dass ich kein Hauptgewinn bin.«
Annie verspürte das gleiche kleine Zwicken, das sie neulich abends am Telefon gehabt hatte, aber sie fragte sich langsam,
ob es nicht ganz normales menschliches Mitgefühl war. Sie war erleichtert gewesen, dass sie ihn los war, und er befürchtete,
das Interesse dieser Frau an ihm sei ein Anzeichen für eine Geisteskrankheit. War doch klar, dass das ihren Beschützerinstinkt
weckte.
»Das ist alles sehr kompliziert, oder«, meinte er. »Diese ganze Geschichte von wegen, ich weiß auch nicht.«
»Ich weiß nicht genau, was du meinst. Die ganze Geschichte von wegen was?«
»Jemanden zu kennen.«
»Aha.«
»Na ja, ich kannte dich. Ich kenne dich. Das finde ich total wichtig. Wichtiger, als mir vorher klar war.Neulich abends, als ich dich anrief … gut, ich weiß, es ging um Tucker, und ich hab diesen Quatsch erzählt, Tucker wäre quasi
unser Kind und so, obwohl kein Kind zu haben ein heikles Thema war. Aber der Impuls … Verstehst du, ich will ihr so was gar
nicht erst erzählen. Wenn ich was Neues erfahre, soll sie nichts davon wissen.«
»Gib ihr mehr Zeit.«
»Ich bin einfach nicht für solche Veränderungen gemacht, Annie. Ich möchte hier leben. Mit dir. Und dir alles erzählen.«
»Du darfst mir doch auch in Zukunft alles erzählen.«
Annie verließ jetzt schon der Mut. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Duncan ihr auch nur ein einziges Mal etwas erzählen
würde, das sie tatsächlich interessierte.
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Duncan, wir sind schon sehr lange eher Freunde als ein Liebespaar. Vielleicht sollten wir uns überlegen, das amtlich zu machen.«
Er strahlte plötzlich, und für einen Moment sah Annie sich schon am sicheren Ufer.
»Heiraten meinst du? Nichts würde ich lieber, als …«
»Nein, nein. Du hörst mir nicht zu. Das Gegenteil von heiraten. Eine alles-andere-als-eheähnliche, nicht-sexuelle Wir-sehen-uns-einmal-die-Woche-im-Pub-Freundschaft.«
»Oh.«
Es erbitterte Annie, dass doch wieder alles an ihr hängenblieb. Das Gute daran, dass Duncan sie sitzen gelassen hatte, war
ja, dass sie die Beziehung nicht selbst hatte beenden müssen. Nun sah es plötzlich so aus, als müsste sie den Laufpass nicht
nur nehmen, sondern auch noch geben .
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