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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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der diese Briefe aufgenommen wurden, etwas
     Deprimierendes hatte. Wen interessierte es schon, ob Bettys Nichte schwanger war oder der Enkel von Tante Vi in der Ausbildung
     zum Tierarzt steckte? Wären Mom und Gran nicht so vereinsamt gewesen, wäre nichts davon als tolle Neuigkeit betrachtet worden.
    Und nun saß Annie hier und ließ sich den Tag vergolden durch eine Korrespondenz mit einem Mann, dem sie noch nie begegnet
     war.

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    In der letzten Mail, die Annie Tucker geschickt hatte, hatte sie folgende Frage gestellt:
     
    Was macht man, wenn man wie ich glaubt, fünfzehn Jahre des eigenen Lebens vergeudet zu haben?
     
    Sie hatte bislang keine Antwort erhalten, wahrscheinlich wegen der häuslichen Krise, auf die er beim letzten Mal angespielt
     hatte, daher musste sie sich selbst dem Thema stellen. Momentan arbeitete sie mit und unter der Prämisse, Zeit ist Geld: Wie
     würde sie sich verhalten, wenn sie gerade fünfzehntausend Pfund verloren hätte? Ihrer Ansicht nach gab es da zwei Möglichkeiten:
     Man konnte das Geld abschreiben oder versuchen, es zurückzubekommen. In letzterem Fall konnte man versuchen, es entweder von
     der Person zurückzubekommen, die es einem genommen hatte, oder man versuchte, den Verlust auf andere Weise wettzumachen –
     indem man Sachen verkaufte, beim Pferderennen wettete oder endlos Überstunden machte.
    Diese Analogie brachte sie aber irgendwann auch nicht weiter: Zeit war eben nicht gleich Geld. Oder besser gesagt, die Zeit,
     die sie meinte, war nicht in einen Stundenlohn konvertierbar, wie die Dienste eines Anwalts oder einer Prostituierten. Oder
     besser gesagt(okay, ein letztes »besser gesagt«, ehe sie zugab, dass alle Überlegungen in diese Richtung fruchtlos blieben), theoretisch
     ginge es schon, aber es würde sie niemand bezahlen. Sie könnte an Duncans – Ginas! – Tür klopfen und eine Entschädigung für
     die Zeit verlangen, die sie mit ihm vertan hatte, doch der Gegenwert war schwer zu bestimmen, und außerdem war Duncan ja blank.
     Aber sie wollte ja gar kein Geld. Sie wollte die Zeit zurück, sie wollte sie ganz anders nutzen. Sie wollte wieder fünfundzwanzig
     sein.
    Hätte sie nicht so viel Zeit an Duncan verschwendet, wäre sie jetzt vielleicht besser darauf vorbereitet gewesen, auszurechnen,
     wo die Zeit geblieben war; sie war nie gut in Mathe gewesen, und Mathe war genau das, was man für solche Abrechnungen brauchte.
     Ihr Kardinalfehler war, dass sie trotz besseren Wissens Duncan für die Zeit an sich setzte. Z = D. Dabei war Z tatsächlich
     doch D + A + S + F&F + K, wobei A für Arbeit stand, S für Schlaf, F&F für Familie und Freunde und K für Kultur und dergleichen.
     Anders gesagt, sie hatte nur ihre Liebeszeit an Duncan verschwendet, das Leben bestand aber aus viel mehr. Zu ihrer eigenen
     Verteidigung wies sie aber gerne darauf hin, dass D mehr war als nur ein Faktor unter vielen. Sie betrachtete seine F&F beispielsweise
     als ihre eigenen, auch wenn er zugegebenermaßen von beiden wenig besaß. Und wer weiß, ob A anders ausgesehen hätte, wenn D
     nicht in derselben Stadt gelebt hätte? Sie ging davon aus, dass es so gewesen wäre. Sie bewegten sich nicht vom Fleck, machten
     beide Jobs, die sie nicht erfüllten, denn zur gleichen Zeit am selben Ort einen neuen Arbeitsplatz zu finden, war praktisch
     unmöglich. Und wessen K war es eigentlich? Er war derjenige, der die Platten kaufte und DVDs, er war es, der nicht ins hiesige
     Theater gehen wollte (und in dieanderer Städte) … Gleichungen zu entwickeln war eigentlich nicht ihre Stärke, aber vermutlich war sie so etwas wie
     

     
    Außerdem gab es einen anderen Faktor in der Gleichung, über den sie nicht gerne nachdachte: ihre eigene Dummheit und Apathie
     (EDA). Sie hatte bei all dem ja mitgespielt. Sie hatte den Dingen ihren Lauf gelassen. Sie würde den ganzen Mist mit EDA multiplizieren
     müssen und dann bei einer Zahl landen, die größer war als die, von der sie ausgegangen war. Wenn sich dann herausstellte,
     dass sie zwanzig, fünfzig oder gar hundert Jahre vergeudet hatte, wessen Schuld war es dann?
    Diese fünfzehn Jahre waren jedenfalls weg. Und was war mit ihnen verloren? Kinder, das war so gut wie sicher, und wenn sie
     Duncan je vor Gericht zerren würde, wäre das ihr Hauptanklagepunkt. Aber was sonst noch? Was hatte sie versäumt, weil sie
     zu viel Zeit mit einem langweiligen, treulosen Wicht verbracht hatte, statt das Leben so zu leben, wie sie es sich

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