Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
Vom Netzwerk:
sagte Tucker. »Wie geht es ihr?«
    »Ganz gut so weit«, sagte der Typ, eine irgendwie antiklimaktische Antwort. Und dafür die ganzen »Fick dichs«?
    »Gut. Grüß sie mal von mir.«
    Die Band errichtete für äußerst undurchsichtige Zwecke eine beängstigende Berliner Schallmauer, die rein aus Feedback und
     Cymbals bestand. Jerry sagte irgendwas, das Tucker nicht verstand. Tucker schüttelte den Kopf und zeigte auf seine Ohren.
     Jerry versuchte es noch mal, und diesmal hörte Tucker das Wort »Mutter« heraus. Tucker hatte Lisas Mutter kennengelernt. Sie
     war eine sympathische Frau.
    »Das tut mir aber leid«, sagte Tucker.
    Jerry sah ihn an, als wollte er ihn schlagen. Tucker hatte den Verdacht, sie hätten sich missverstanden. Er würde kaum geschlagen
     werden, weil er Mitleid ausdrückte?
    »Ihre Mutter ist gestorben, oder?«
    »Nein«, sagte Jerry. »Ich hab gesagt …« Er lehnte sich ganz zu Tucker rüber und brüllte ihm ins Ohr: »WUSSTEST DU, DASS SIE
     MUTTER GEWORDEN IST?«
    »Nein«, sagte Tucker, »wusste ich nicht.«
    »Hätte mich auch gewundert.«
    Da hat sie sich nicht viel Zeit gelassen, dachte Tucker.Sie hatten sich erst vor einem Jahr getrennt, das bedeutete, sie musste …
    »Wie alt ist das Kind?«
    »Sechs Monate.«
    Tucker rechnete im Kopf nach, und dann mit den Fingern hinter dem Rücken, und dann noch mal im Kopf.
    »Sechs Monate. Das ist … interessant.«
    »Finde ich auch«, sagte Jerry.
    »Interessant in zweifacher Hinsicht.«
    »Bitte?«
    »ICH SAGTE IN ZWEIFACHER HINSICHT INTERESSANT.«
    Jerry hielt zwei Finger hoch, offenbar, um sich die Zahl bestätigen zu lassen, und formte mit dem Mund das Wort »zwei«. Sie
     waren weit entfernt davon, sich dem Kern des Gesprächs zu nähern. Bisher ging es lediglich um die genaue Anzahl der Hinsichten,
     in der es für ihn interessant sein könnte.
    »Zwei was?«, fragte Jerry.
    Später fragte sich Tucker, warum sie beide nicht darauf gekommen waren, die Sache nach draußen zu verlagern. Macht der Gewohnheit,
     vermutlich. Sie waren beide an Gespräche in krachigen Rockclubs gewöhnt, und sie wussten, dass man nichts verpasste, wenn
     man nicht viel oder gar nichts vom Gespräch mitbekam. Jetzt war Tucker absichtlich umständlich, um etwas herauszufinden, das
     womöglich sehr wichtig für ihn war. Es klappte nicht.
    »IN ZWEIFACHER HINSICHT …« Oh, Schluss mit der Scheiße. »Willst du mir sagen, das Kind ist von mir?«
    »Dein Kind«, sagte Jerry und nickte vehement.
    »Ich bin Vater.«
    »Du«, sagte Jerry, und bohrte seinen Finger in Tuckers Brust. »Grace.«
    »Grace?«
    »GRACE IST DEINE TOCHTER.«
    »SIE HEISST GRACE?«
    »GRACE. DU. VATER.«
    Und so erfuhr er davon.
    Plötzlich brach die Feedback-Schleife ab. An dessen Stelle trat ein leicht benommener, sprachloser Applaus. Jetzt, wo er reden
     konnte, wusste er nicht, was er sagen sollte. ER wollte ganz bestimmt nicht sagen, woran er dachte: Er dachte an seine Arbeit,
     seine Musik, an Juliet und die Tour. Er dachte, dass die Kombination von Kind und Juliet eine permanente, unerträgliche Erniedrigung darstellen
     würde. Für Lisa war sie das ganz bestimmt. (Vielleicht sprach wenigstens dieser Gedanke für ihn, hoffte er. Er schien eine
     gewisse ethische Dimension zu haben. Auf jeden Fall dachte er an jemand anderen als an sich. Er hoffte, dass Gott es mitbekam,
     auch wenn der Gedanke an eine ganze Latte von anderen angehängt war, die sich ausschließlich um ihn drehten.)
    »Was willst du deswegen unternehmen?«, fragte Jerry.
    »Na ja, da gibt es wohl nicht viel, was ich unternehmen kann, oder? In den meisten Staaten sind Abtreibungen nach der Geburt
     verboten.«
    »Reizend«, sagte Jerry. »Das hat Klasse. Wirst du sie besuchen?«
    »War schön, dich kennenzulernen, Jerry.«
    Tucker trank aus und stellte die Flasche auf die Theke. Er hatte keine Lust, mit diesem Kerl über seine Pflichten und seine
     Verantwortung zu reden. Er musste raus, und zwar allein.
    »Noch was. Ich wollte es eigentlich nicht sagen«, sagteJerry. »Aber du scheinst mir ein ziemliches Arschloch zu sein, also was soll’s?«
    Tucker machte eine »Ganz-wie-du-meinst«-Geste.
    »Diese Platte. Juliet . Das ist doch die reinste Poserscheiße, oder? Ich meine, ich kann mir vorstellen, dass du sie ficken wolltest. Sie sieht
     ja gut aus, auf den Bildern, die ich gesehen hab. Aber das ganze Drama? Das kauf ich dir nicht ab.«
    »Sehr vernünftig«, sagte Tucker. Er salutierte ironisch vor Jerry und ging.

Weitere Kostenlose Bücher