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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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Er wollte eigentlich direkt zur Tür raus, aber
     er musste vorher noch pissen. Leider musste er deshalb lächerlicherweise Jerry auf dem Weg zurück vom Klo noch mal genauso
     ironisch grüßen.
    Jahre später würden sich kleine Grüppchen schmuddeliger Fans im Internet zusammenfinden und diesen Abstecher zum Klo einer
     gründlichen Analyse unterziehen. Tucker war immer wieder fasziniert von dieser eindimensionalen Denkweise. Wenn Martin Luther
     King kurz vor der »I Have A Dream«-Rede pinkeln gegangen wäre, hätten sie daraus geschlossen, dass ihm das alles beim Wasserabschlagen
     eingefallen ist? Als er vom Klo kam, ging sein Drummer Billy gerade rein; Billys Gehirn war völlig weich gekifft, darum war
     es aller Wahrscheinlichkeit nach Billy, der beschlossen hatte, dass da drin irgendein mystisches Ereignis stattgefunden haben
     musste. Seine Unterhaltung mit Jerry blieb – was Jerry einen Platz im Himmel sicherte – zwischen ihnen.
    Auf dem Heimweg kotzte er irgendwo zwischen dem Club und dem Motel gegen eine Mauer. Er kotzte Aufschnitt, Rotwein und irischen
     Whiskey aus, aber es fühlte sich an, als käme noch etwas anderes mit. Am nächsten Morgen rief er seinen Manager an. Im Grunde
     war das, was sich an diesem Abend abgespielt hatte, gar keine so große Sache, egal, was die Leute im Internet redeten.Er hatte erfahren, dass er Vater war. Er hatte eine Tour abgeblasen. In derselben Nacht hatten wahrscheinlich Musiker alle
     möglichen amerikanischen Dinge erfahren und/oder abgesagt – das war typisch für Musiker. Und der Tag danach war auch nicht
     bemerkenswerter, der Tag danach auch nicht, das blieb so, 6000 Tage lang. Es summierte sich.

[ Menü ]
    Zuerst war Annie froh, dass Tucker und Jackson zu spät kamen. Es gab ihr Zeit, sich zu sammeln, sich klar zu werden, wie sie
     sich präsentieren wollte. Gut, vielleicht gab es irgendeine Verbindung zwischen ihr und Tucker, aber es war ein hauchzarter
     Cyberfaden: wenn man ihn anpustete, würde er sich auflösen. Und doch, wenn er Punkt drei vor der Tür gestanden hätte, wäre
     sie ihm wahrscheinlich entgegengelaufen und um den Hals gefallen, was ein dickes, fettes Gegengewicht an Gefühl voraussetzte,
     für das sie keinerlei Anhaltspunkte hatte. Um zehn nach drei hatte sie sich entschieden, ihm einen freundlichen Schmatz auf
     die Wange zu geben, und zehn Minuten später sagte sie sich, dass sie den Schmatz zu einem Händeschütteln reduzieren würde.
     Allerdings würde sie beide Hände nehmen, um besondere Herzlichkeit zu vermitteln. Um viertel vor vier mochte sie ihn sowieso
     nicht mehr besonders.
    Und natürlich hätte sie, wenn sie geahnt hätte, dass er zu einer Unhöflichkeit dieser Proportion fähig war, nicht vorgeschlagen,
     sich ausgerechnet in Dickens’ Haus zu treffen. Es gab weder Geschäfte noch Cafés, nichts, wo man sich reinsetzen konnte, um
     den Eingang des Museums zu beobachten, und dabei einen Cappuccino zu trinken, für dessen Preis man in Gooleness ein Reihenhaus
     bekam. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf derStraße zu warten und sich dumm vorzukommen. Und obwohl sie es im Voraus gewusst hatte, dass sich dumm vorzukommen die unweigerliche,
     unausweichliche Konsequenz dieses dummen Flirts sein würde (konnte ein Flirt noch einseitiger sein als dieser, bloße Schwärmerei
     ausgeschlossen), hatte sie gehofft, dass sie erst später eintreten würde, nämlich, wenn er anschließend ihre E-Mails nicht
     mehr beantwortete. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er gar nicht erst auftauchte. Aber was hatte sie erwartet? Er war
     ein menschenscheuer trockener Alkoholiker und Exrockstar. Nichts daran ließ auf jemanden schließen, der um Punkt drei an einem
     Donnerstagnachmittag vor einem Museum warten würde. Was nun? Eine Stunde später und nachdem sie den Gedanken erwogen und verworfen
     hatte, allein eine Führung mitzumachen (weil sie Dickens plötzlich gar nicht mehr so toll fand wie ursprünglich gedacht),
     ging sie zu Fuß Richtung Russel Square. Sie hatte ihm ihre Handynummer verraten, er ihr seine aber nicht – clever von ihm,
     wie sie jetzt begriff. Das Einzige, was sie wusste, war, dass er zur Zeit in der Wohnung seiner Tochter wohnte, aber selbst
     wenn sie detektivisch genug veranlagt gewesen wäre, die relevanten Details herauszufinden, würde sie nicht anrufen und ganz
     bestimmt nicht an seine Tür klopfen. Schließlich hatte sie auch ihren Stolz.
    In irgendeinem Eckchen ihres Inneren gab es aber noch

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