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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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ein Fünkchen Hoffnung, anderenfalls wäre sie wieder in ihr billiges,
     muffiges Hotelzimmer in der Nähe des Britischen Museums gegangen, hätte ihr Gepäck geschnappt und sich in den Zug zurück nach
     Gooleness gesetzt. Aber sie wollte nicht. Am Russell Square lief in einem Programmkino ein französischer Film, und sie setzte
     sich für zwei Stunden allein ins Dunkle und versuchte, die Untertitel zu entziffern. Sie schaltete ihrHandy auf Vibrationsalarm und sah alle paar Minuten nach – nur für den Fall, dass ihr die Vibration entgangen wäre – aber
     es gab keine Nachricht, keinen entgangenen Anruf, nichts, was darauf schließen ließ, dass sie jemanden hatte treffen wollen.
     
    Sie kannte nur ein, zwei Leute, die noch in London lebten, Linda in Stoke Newington und Anthony in Ealing; alle ihre Freunde
     hatten Partner gefunden und waren weggezogen. Viele davon waren Lehrer, die sie im College kennengelernt hatte und die zu
     dem Schluss gekommen waren, dass sie ihr erbärmliches Salär genauso gut in Städten verdienen konnten, in denen die Lebenshaltungskosten
     niedriger waren als in London, und an Schulen, an denen die Schüler Messerstechereien nur aus Rapsongs kannten.
    Annie versuchte es erst bei Linda, die zu Hause arbeitete und daher telefonisch am ehesten zu erreichen war, und soweit sie
     wusste, war Stoke Newington näher als Ealing. Sie hatte Glück – Linda war zu Hause und langweilte sich, und sie bot an, alles
     stehen und liegen zu lassen und sich mit Annie bei einem billigen Inder in Bloomsbury zu treffen. Weniger glücklich traf es
     sich, dass Linda eine unerträgliche Nervensäge war, eine Eigenschaft, die Annie erst zur Mitte des dreiminütigen Telefongesprächs
     wieder einfiel.
    »O mein Gott! Was machst du denn hier?«
    »Ich bin hier … Na ja, eigentlich war es ein Internet-Date.«
    »In dem letzten Satz steckt ja Stoff für einen ganzen Roman! Zuerst mal, was ist aus dem dämlichen Duncan geworden?«
    Zu ihrer Überraschung fühlte Annie einen kleinen Stich.
    »So dämlich war er gar nicht. Jedenfalls nicht zu mir.«
    Um sich zu verteidigen, musste sie ihn verteidigen. Das war der Grund, warum Menschen so eigen waren in Bezug auf ihre Partner,
     sogar ihre Expartner. Zuzugeben, dass mit Duncan nicht viel los gewesen war, hieß, sich selbst öffentlich zu dieser furchtbaren
     Zeitverschwendung zu bekennen, zu grässlichen Geschmacksverirrungen und Fehlurteilen. So ähnlich hatte sie in der Schule an
     Spandau Ballet festgehalten, als sie ihr schon längst nicht mehr gefielen.
    »Und zweitens – was? Alles schon vorbei? Um 18.00 Uhr? Was war das, Speed-Dating?« Und sie lachte wie eine Irre über ihren
     eigenen Witz.
    »Ach, was soll’s. Immer kann man nicht gewinnen.«
    »Und der war eine Niete?«
    Ja, wollte Annie sagen. Genau das meint man mit dieser Formulierung, du Spatzenhirn. Kein Mensch kommt mit einer olympischen
     Goldmedaille um den Hals vom Siegertreppchen und sagt: »Immer kann man nicht gewinnen.«
    »Ich fürchte, ja.«
    »Vergiss nicht, wo wir stehen geblieben sind. Ich hol dich ab. Bis in einer halben Stunde!«
    Annie kniff die Augen zu und fluchte.
     
    Nachdem Linda unter dem Einfassungszaun ihrer weiterführenden Schule im Londoner Norden hervorgekrochen war, versuchte sie
     sich als freie Journalistin und schrieb über Fettabsaugung, Cellulitis, Lederstiefel, Sexhilfen, Kuchen und so ziemlich alles,
     von dem die weniger anspruchsvollen Frauenzeitschriften glaubten, es würde ihre Leserinnen interessieren. Als Annie das letzte
     Mal mit ihr geredet hatte, hatte sie sichgerade so über Wasser gehalten, auch wenn sie den Eindruck erweckte, als würde ihre Produktion sehr schnell im Internet-Orkus
     verschwinden. Linda hatte hennarote Haare und eine laute Stimme, und immer, wenn Annie und sie sich trafen, wollte sie Annies
     »Sicht« auf irgendetwas haben, Barack Obama oder eine Reality-Show im Fernsehen, die sie nicht kannte, oder eine Band, von
     der sie nie gehört hatte. Annie hatte eigentlich auf nichts eine »Sicht«, es sei denn, eine »Sicht« war so etwas wie eine
     Meinung, aber sie hatte immer das Gefühl, es sei etwas viel Aggressiveres, Definitiveres und Ungewöhnlicheres. Und selbst
     wenn Annie eine dieser Eigenschaften besessen hätte, hätte sie sie nicht auf eine »Sicht« verschwendet. Linda lebte mit einem
     Mann zusammen, der haargenau so unmöglich war wie Duncan, obwohl jeder aus irgendeinem Grund so tun musste, als sei er es
     nicht,

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