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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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kannte die Nummer nicht, nur deshalb nahm
     sie den Anruf an.
    »Hallo?«
    Die Stimme war dunkler, als sie sich vorgestellt hatte, aber auch schwächer – zittrig beinahe.
    »Ist da Annie?«
    »Ja.«
    »Hallo. Hier ist Tucker Crowe.«
    »Hallo.« Das erste Wort überhaupt, das sie an ihn richtete, war mit einer Eisschicht überzogen. »Ich hoffe, du hast eine gute
     Entschuldigung.«
    »Mehr als bescheiden. Ich hatte da einen bescheidenen Herzinfarkt, praktisch in dem Moment, als ich aus dem Flugzeug stieg.
     Ich wünschte, ich könnte sagen, dass er schlimmer war, aber was will man machen. Er hat gereicht.«
    »O mein Gott. Geht es dir gut?«
    »Nicht allzu schlecht. Ich glaube, das Schlimmste ist der psychische Knacks. Offenbar bin ich doch nicht so unsterblich, wie
     ich bis jetzt dachte.«
    »Kann ich irgendwas tun?«
    »Ich würde mich über einen Besuch von jemandem freuen, der nicht zu meiner Familie gehört.«
    »Wird gemacht. Und was kann ich dir mitbringen? Brauchst du irgendwas?«
    »Ich könnte vielleicht ein paar Bücher brauchen. Irgendwas Englisches, Verregnetes. Nur nicht ganz so verregnet wie Barnaby Rudge .«
    Annie lachte ein wenig lauter als Tucker verstanden hätte, ließ sich den Namen des Krankenhauses geben und beendete mit leichtem
     Erröten das Telefonat. Sie errötete neuerdings ständig. Vielleicht wurde sie tatsächlich jünger und bis ganz zurück in vorpubertäre
     Zeiten katapultiert. Und der ganze schreckliche Zirkus konnte von vorne anfangen.
    »War das eine deiner Geschichten?«, fragte Linda. »Sieht so aus, so wie du die Farbe gewechselt hast.«
    »Naja. Doch. Ist er.«
    Er war zumindest eine Geschichte, selbst wenn aus ihm nie etwas anderes wurde.
     
    Kein Mensch, fand sie am nächsten Morgen heraus, wartet ungeduldig vor einem Buchladen darauf, dass er endlich öffnet. Sie
     stand allein in der Kälte. Sie war um acht Uhr fünfzig an der Charing Cross Road gewesen, nur um festzustellen, dass kein
     einziger der Läden vor halb zehn aufmachte; sie ging einen Kaffee trinken, kam wieder und sah um neun Uhr einunddreißig durch
     die Glastür, wie die Angestellten in den Auslagen herumräumten. Was machten die da? Sie mussten doch selbst darauf kommen,
     dass sie hier draußen nicht auf und ab hüpfte, weil sie unbedingt ein Promi-Kochbuch kaufen wollte. Ein Glück, dass Menschen
     nicht an Literaturentzug sterben konnten: vor diesem Laden würde man sie röchelnd auf dem Pflaster liegen lassen.Endlich schloss ein unrasierter junger Mann mit langen, fettigen Haaren die Tür auf und schob sie zur Seite. Sie drängte sich
     durch den Spalt.
    Sie hatte über Nacht ein paar Ideen entwickelt. Tucker würde es nie erfahren, aber die Wahrheit war, dass sie nicht einschlafen
     konnte, weil sie im Kopf eine Bücherliste zusammenstellte. Um zwei Uhr morgens entschied sie, dass zehn Bücher genug wären,
     um seine Bedürfnisse und ihre Leidenschaften abzudecken, aber als sie aufwachte, sah sie ein, dass ein wackliger Turm von
     Taschenbüchern Tucker alle nötigen Beweise dafür liefern würde, dass sie gestört und besessen war. Zwei reichten aus, drei,
     wenn sie sich beim besten Willen nicht entscheiden konnte. Am Ende kaufte sie vier, doch zwei wollte sie auf dem Weg zum Krankenhaus
     noch aussortieren. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihm gefallen würden, hauptsächlich, weil sie nichts über ihn wusste, außer,
     dass er Dickens mochte. Das Krankenhaus war irgendwo am Marble Arch, also ging sie bis zur Oxford Street und stieg in einen
     Bus, von dem sie hoffte, dass er in westliche Richtung fuhr.
    Außer … Wahrscheinlich hatte jeder, der sich für englische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts interessierte, »Vanity Fair«
     gelesen? Und war ein Buch mit dem Titel »Hangover Square« ein angemessenes Geschenk für einen trockenen Alkoholiker? Und dann
     die vielen Sexszenen in »Fingersmith« … Würde er darin so eine Art Anmache sehen? Und war der Sex darin nicht hauptsächlich
     lesbischer Art? Würde er das als dezente Warnung verstehen, dass sie nicht an ihm interessiert war? Wenn es doch eigentlich
     darum ging, ihm genau das Gegenteil anzudeuten? Und dann hatte er ja auch noch einen Herzinfarkt gehabt, also war vielleicht
     jedes Buch, in dem Sex vorkam, etwas taktlos. Oh, Scheiße.Sie schaute aus dem Busfenster, sah einen großen Buchladen, und stieg an der nächsten Haltestelle aus.
     
    Annie stopfte schließlich am Eingang des Krankenhauses vier brandneue Paperbacks,

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