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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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zu mir aufschaut. Ich will nicht, dass er mich nach meinen vergangenen Fehlern beurteilt.«
    »Aber sie ist nett zu ihm.«
    »Ja. Kann sein. Und zu mir. Ihr lieber Mann hat uns den Flug hier rüber bezahlt. Und dann klappe ich ausgerechnet am Empfang
     der schicksten Klinik von London zusammen, also wird er auch dafür zur Kasse gebeten.«
    Er lachte kurzatmig.
    »Sie hat also auch ihre guten Seiten.«
    »Offenbar ja. Dass ich das ausgerechnet jetzt erfahre.«
    »Wie kommt es, dass du eine Engländerin geheiratet hast?«
    »Oooohh …« Und er machte eine Handbewegung, als sei eine Ehefrau von einem anderen Kontinent an irgendeinem Punkt der Karriere
     eines Serienehemanns eine Selbstverständlichkeit, und die langweiligen Details daher nicht erwähnenswert.
    Sie ermahnte sich selbst, nicht zu viele Fragen zu stellen, obwohl sie so vieles über ihn wissen wollte. Sie sagte sich gern,
     dass sie neugierig auf Menschen war, aber ihr Informationsdurst ging über Neugier hinaus: Sie wollte sein Erwachsenenleben
     zur Gänze zusammenpuzzeln, und irgendwie fehlten ihr die Ecken, mit denen sie anfangen konnte. Warum lag ihr so viel daran?
     Zum Teil lag es natürlich an Duncan: Sie dachte mit seinem Fan-Gehirn, und offensichtlich fühlte sie sich verpflichtet, so
     viele Informationen wie möglich zu sammeln, weil niemand sonst dazu imstande war. Aber es war mehr als das. Sie hatte zum
     ersten Mal Gelegenheit, jemand so exotischen kennenzulernen, und sie fürchtete, dass eine zweite nicht kommen würde, es sei
     denn, ein anderer verschwundener Bohemien nahm aus heiterem Himmel Kontakt zu ihr auf.
    »Aha«, sagte sie. »Eine von denen.«
    »Sah das so aus, als wäre ich absichtlich mysteriös?«, fragte er.
    »Es sah so aus, als hättest du keine Lust, mit jemandem, den du gerade erst kennengelernt hast, über deine vorletzte Ehe zu
     reden.«
    »Perfekt. Erstaunlich, was man mit einer schlappen Bewegung aus dem Handgelenk rüberbringen kann.«
    »Wie geht es deiner Tochter?«
    »Nicht so gut. Körperlich okay, aber sie ist wütend. Auch wütend auf mich.«
    »Auf dich?«
    »Ich hab’s wieder mal geschafft, ihr alles zu versauen. Diesmal sollte sich ausnahmsweise mal alles um sie drehen.«
    »Ich bin sicher, dass sie es nicht so meint.«
    In den ersten fünf Minuten hatte sie schon Lizzie und Natalie verteidigt, und sie gelobte sich, für den Rest des Besuchs kein gutes Wort über irgendjemanden aus Tuckers Verwandtschaft
     zu verlieren. Sie hörte sich damit freundlich, langweilig und gutherzig an, also genau wie die Sorte Frau, die ein einsiedlerischer,
     rekonvaleszenter Kultmusiker nicht mögen würde, soweit sie irgendwas von einsiedlerischen, rekonvaleszenten Kultmusikern verstand,
     was nicht der Fall war. Außerdem war es mehr als wahrscheinlich, dass seine Familie abscheulich war. Natalie hatte sie nur
     zwei Sekunden lang auf dem Flur gesehen, aber diese zwei Sekunden waren heilsam gewesen: Jetzt wusste sie, dass die Reichen
     und Schönen tatsächlich anders waren. »Ich bin sicher, das meint sie nicht so …« Woher wollte sie wissen, wie die Tochter
     eines Models irgendetwas meinte?
    »Kennst du viele Leute in London?«
    »Nein. Lizzie und Nat. Und jetzt auch dich.«
    »Die Besucher geben sich also nicht die Klinke in die Hand?«
    »Bis jetzt noch nicht. Aber soweit ich höre, sind einige auf dem Weg hierher.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Nat und Lizzie sind in ihrer Weisheit zu dem Schluss gekommen, dass alle meine Kinder mich hier besuchen sollten,
     bevor ich den Löffel abgebe. Alsosind noch drei weitere Kinder und eine Exfrau im Anmarsch.«
    »Oh. Und was meinst du …«
    »Ich bin nicht sehr begeistert von der Idee.«
    »Nein. Naja. Das verstehe ich.«
    »Die Wahrheit ist, Annie, dass ich das unmöglich aushalte. Du musst mich irgendwie hier rausschaffen. Wenn du in einem kleinen
     Küstenstädtchen ein Ende weg von diesem Krankenhaus lebst, klingt das genau nach dem Ort, an dem ich gesunden könnte. Würde
     Jackson vielleicht auch Spaß machen.«
    Einen Moment lang vergaß Annie das Atmen. Diesen Satz hatte sie ihm schon einige Male in den Mund gelegt, obwohl er mit seiner
     Stimme besser klang und einige linguistische Details enthielt, die ihr so nicht eingefallen wären: »ein Ende weg« und »gesunden«.
     Und dann, nachdem sie wieder angefangen hatte, ein- und auszuatmen, etwas geräuschvoller, als ihr lieb war, musste sie gleich
     an den Zugfahrplan denken. Sie hatte den Zug um vierzehn Uhr

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