Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
Problemen. Doch als sie an die Philippsteinerinnen dachte, fragte sie sich, was für eine Art Frau Jürgen in ihr sehen mochte. Immerhin hatte sie ihm die Waffe entrissen und völlig unweiblich ein Wildtier erlegt. Bislang war sie stets stolz auf ihre Kaprio-len gewesen, doch nun schämte sie sich, weil sie immer wieder gegen Lores und Dorothea Simmerns Lehren verstieß. Dabei hatten die beiden sich alle Mühe gegeben, sie zu einer Dame zu erziehen.
    »Gleich haben wir das Gut erreicht!«
    Jürgens Ausruf riss Nathalia aus ihren Gedanken. Sie schniefte ein paarmal und wappnete sich dann mit Trotz. Schließlich hatte sie nur das Beste für Jürgen gewollt. Wenn er sie deshalb geringschätzte, war er nicht der Mann, den sie achten konnte. Kurz entschlossen zügelte sie ihre Stute und ritt mehrere Schritte hinter ihm her.
    Auf dem Vorplatz brannten Laternen, die die Finsternis der Nacht verdrängten. Ein Knecht erkannte Jürgen, rief etwas in den Stall, und schon kamen mehr und mehr Leute herbei.
    Nehlens Verwalter war unter den Ersten. Er musterte den toten Hirsch und begutachtete fachmännisch das Einschussloch. »Ein prachtvoller Blattschuss! Der Herr Graf hätte nicht besser treffen können«, lobte er Jürgen.
    Dieser wand sich vor Verlegenheit, verschwieg aber, dass Nathalia die Schützin gewesen war, und wies ein paar Knechte an, den Hirsch wegzuschaffen. Dann fragte er, ob es noch möglich wäre, ein Abendessen zu erhalten.
    »Aber selbstverständlich«, erklärte der Verwalter, ohne seinen Blick von dem Hirsch lösen zu können. »Schade um den Burschen. Graf Nehlen hatte im Frühjahr gehofft, er würde sich wieder erholen, doch leider war dies nicht der Fall. Gut, dass er sich entschieden hat, das Tier schießen zu lassen.«
    »Wie ist es eigentlich mit der Schonzeit?«, fragte Nathalia, um sich bemerkbar zumachen.
    Der Verwalter winkte ab. »Ein krankes Tier kann der Reviereigner jederzeit schießen.« Dann erst begriff er, wer da aus dem Dunkel aufgetaucht war, und deutete eine Verbeugung an.
    »Willkommen auf Nehlen, Komtess. Haben Sie Herrn Göde begleitet?«
    »Nein, ich wusste gar nicht, dass er hierher unterwegs war, sondern bin auf eigene Faust losgeritten. Auf Klingenfeld sind neue Gäste erschienen, und da wollte ich zurück nach Steenbrook, um den Transport einiger Möbel zu veranlassen. Ich hoffe, Sie gewähren mir hier Obdach, denn ich möchte ungern weiter durch die Nacht reiten.«
    Nathalias Stimme klang ruhig, doch sie musste all ihre Selbstbeherrschung aufbieten. Für den biederen Verwalter reichte ihr Auftritt jedoch, und als sie kurz darauf Jürgen im Speisezimmer gegenübersaß und ein verspätetes Nachtmahl zu sich nahm, hatte sie ihre Nerven wieder in der Gewalt.

IX.
    M anfred Laabs wusste, dass er nicht ohne handfeste Informationen nach Berlin zurückkehren durfte. Daher opferte er einen Teil seines prachtvollen Bartes und rasierte ihn bis auf ein kleines Stück über der Oberlippe ab. Bei einem Altkleiderhändler kaufte er sich einen unauffälligen blauen Rock, karierte Hosen und einen Hut von einer Art, wie er ihn noch nie getragen hatte. Auch besorgte er sich zu seinem Schutz einen Gehstock, der kräftig genug war, um sich damit verteidigen zu können. Dann machte er sich auf den Weg.
    Die Strecke von der Bahnstation zum Dorf legte er zu Fuß zurück und nahm in Sikkos Krug ein Zimmer. Ihm war ein wenig mulmig dabei, denn er war früher in Gesellschaft des jungen Klingenfeld bereits dort gewesen. Aber seine Verkleidung und ein etwas anderer Dialekt sorgten dafür, dass der Wirt ihn nicht mit dem Mann in Verbindung brachte, der Dela Wollenweber in die Stadt gelockt hatte.
    Mit der Absicht, bei Ottwald von Trettin eine hübsche Summe als Gefahrenzulage lockerzumachen, begann er sich umzusehen. Auf einer Wanderung, die ihn zum Gutshof von Klingenfeld führte, stellte er fest, dass dort kräftig gearbeitet wurde. Wie es aussah, richtete man das Herrenhaus neu ein, denn es standen mehrere mit Möbeln beladene Fuhrwerke auf dem Vorplatz. Zwei Frauen leiteten die Knechte an, die die Wagen entluden.
    Laabs fragte sich, ob es sich bei einer davon um die Komtess Retzmann handeln konnte. Möglich war es, denn die eine Frau musste zwischen zwanzig und dreißig sein, während die andere sicher auf die vierzig zuging. Beide waren gut gelaunt und sprachen eifrig miteinander. Doch so nahe, um etwas verstehen zu können, wagte Laabs sich nicht an sie heran.
    Während er sich überlegte, ob er

Weitere Kostenlose Bücher