Juliregen
Lores Unmut mit einem Lachen. »Du weißt doch, wie sehr ich Wolfi mag. Zudem zerbröselt er den Kuchen nicht über meinem Dekolleté, wie Doro es letztens getan hat.«
Lore lächelte zwar, konnte sich eine gewisse Kritik allerdings nicht verkneifen. »Als unverheiratete Frau solltest du keine so weit ausgeschnittenen Kleider tragen.«
Nathalia tat ihre Worte mit einer Handbewegung ab. »Ach was! Andere unverheiratete Frauen, wie du sie nennst, zeigen noch viel mehr. Erinnere dich nur an Gottlobine von Philippstein. Deren Dekolleté glich beim letzten Fest einer Auslage ihrer körperlichen Vorzüge. Dagegen sind meine Kleider harmlos. Mary würde niemals zulassen, dass ich ein Kleid trage, das sie
shocking
findet!«
»Das würde sie gewiss nicht.« Das Erwähnen ihrer englischen Freundin brachte Lore ein Versäumnis in Erinnerung. »Oh Gott, in der Eile haben wir ganz vergessen, Mary und Konrad davon zu unterrichten, dass wir heuer bereits früher zu deinem Gut gereist sind. Dabei hatten wir doch überlegt, gemeinsam mit ihr in die Ferien aufzubrechen.«
»Ich werde Mary heute noch schreiben. Vorher aber muss ich wissen, ob das Pony, das ich ihrem Jonny im letzten Jahr versprochen habe, auch gekauft worden ist. Der Junge wäre mir zu Recht böse, wenn ich mein Versprechen nicht halte.«
Nathalia sah die Chance, Wolfi loszuwerden, und trug ihn zu Agathe, die ihn gerne entgegennahm. Sie überlegte einen Moment und beschloss dann, erst später nach dem Pony zu sehen, denn sonst hätte sie Wolfi gleich wieder am Hals. Sie schickte ein Dienstmädchen ins Haus, um Papier und einen Füllfederhalter zu holen, und rümpfte die Nase, als es mit Feder und Tintenfass zurückkam.
»Ich glaube, ich werde einige Änderungen veranlassen müssen, wenn ich hier behaglich leben will. Man bekommt direkt das Gefühl, als wäre man hier hundert Jahre hinter der Zeit zurück!« Sie seufzte, als sie sich einen Bogen schweres Büttenpapier zurechtlegte und zu schreiben begann.
Lore sah ihr lächelnd zu und freute sich jetzt schon auf Marys Ankunft. In der frischen Luft und einer Umgebung, die Augen und Geist gleichermaßen schmeichelte, konnten sie sich entspannt über die neuesten Modetrends unterhalten und Skizzen anfertigen.
»Was hältst du übrigens davon, wenn wir morgen nach Nehlen fahren, um Graf Nehlen zu besuchen? Der alte Herr ist Leutnant Bukows Erbonkel, musst du wissen. Ich habe mich jetzt daran erinnert, dass ich den Grafen letztes Jahr bei einer Pferdeauktion in Verden getroffen habe. Ein echtes Unikum, der Mann, aber von ausgesuchter Höflichkeit. Er hat es mir nicht einmal verübelt, dass ich ihm Frühlingsmaid vor der Nase weggesteigert habe. Er wollte sie unbedingt für seine Zucht haben, aber mir gefiel sie als Reitpferd. Weißt du was? Ich werde morgen neben dem Wagen herreiten, denn der Graf wird die Stute sicher sehen wollen.«
Während Nathalia fröhlich Pläne für den nächsten Tag schmiedete, wünschte Lore Leutnant Bukow und dessen Erbonkel ins Pfefferland. Auch wenn sie nicht wollte, dass ihre Freundin einen einfachen Landedelmann heiratete, für den bereits ein Ausflug nach Berlin einer Weltreise gleichkam, so gefiel ihr ein berüchtigter Frauenheld noch weniger.
»Nun, wenn Graf Nehlen das Pferd sehen will, solltest du es ihm vorführen.« Im Stillen hoffte Lore, dass Leutnant von Bukow tatsächlich noch in Berlin weilte und der alte Herr Nathalia mit seinen Manieren so abschreckte, dass diese keinen weiteren Besuch auf Nehlen in Erwägung zog.
»Dann lass uns morgen hinfahren. Willst du Wolfi und Doro mitnehmen?«, fragte Nathalia zufrieden.
Im ersten Impuls wollte Lore ablehnen. Dann aber kam ihr ein Gedanke: Ein alter Herr, der auf seine Bequemlichkeit bedacht war, würde kleine Kinder gewiss schrecklich finden und seinen Gästen nahelegen, es bei diesem einen Besuch zu belassen.
Daher wandte sie sich Nathalia mit einem leicht schadenfrohen Lächeln zu. »Oh ja, ich nehme die beiden mit!«
Lores Überlegungen trübten nicht ihre Freude an dem wundervollen Nachmittag, der nun langsam in den Abend überging. Noch war es hell genug, um Briefe schreiben zu können, und so hielten Lore und Nathalia sich noch auf der Terrasse auf, als Fräulein Agathe die Kinder längst ins Haus gelockt und zu Bett gebracht hatte.
Nachdem die Bediensteten mehrere Lampions entzündet hatten, die mit flackerndem Licht gegen die hereinbrechende Nacht ankämpften, hob Nathalia fragend den Kopf. »Wollte Fridolin nicht
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