Juliregen
schwere Last, die es zu stemmen gilt. Schließlich geht es ja nicht nur um das Gut, sondern auch um die halbfertige Fabrik, die Fridolin vollenden will. Ich weiß nicht, ob er das finanziell schafft. Schließlich ist er kein Millionär!«
»Wenn es hart auf hart kommt, bin immer noch ich da«, antwortete Nathalia, als wäre sie eine alte Erbtante und kein junges Mädchen.
»Das ist lieb von dir, aber du wirst irgendwann einmal heiraten, und dann verwaltet dein Mann das Geld …«
»… und ich habe nichts mehr zu melden, willst du wohl sagen. Das werden wir doch mal sehen! Wenn mir ein Mann so kommt, werde ich ihn gar nicht erst heiraten.« Nathalia lachte fröhlich und befahl der Bediensteten, die an der Terrassentür stand, ihr und Lore je ein Glas Saft zu bringen.
Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich der Herrschaft eines Mannes beuge wie ein Schaf seinem Scherer? Nein, meine Gute! Dies mag vielleicht früher der Brauch gewesen sein, doch jetzt leben wir in anderen Zeiten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird das Wort einer Frau ebenso viel Gewicht haben wie das eines Mannes. Irgendwann werden wir Frauen sogar wählen und selbst gewählt werden können.«
Lore belächelte den Eifer ihrer Freundin. »Du hörst dich an wie eine jener Suffragetten, über die in den Zeitungen immer gespottet wird.«
»Und warum wird in den Zeitungen gespottet? Weil Männer die Artikel darin schreiben! Ich sollte mir eine Zeitungsfirma kaufen und darin für die Belange von uns Frauen eintreten. Was wären denn die Männer ohne uns? Hilflos wie Waisenkinder, sage ich dir!«
»Fridolin wäre nicht hilflos«, versuchte Lore ihren Mann in Schutz zu nehmen, doch Nathalia winkte ab.
»Hättest du ihn damals nicht geheiratet, hätte Onkel Thomas ihm niemals den guten Posten beim NDL verschafft! Und ohne das wäre er nicht August Grünfelders Kompagnon und damit ein geachteter Bankier geworden.«
Damit hatte ihre Freundin zwar recht, aber Lore wurden Nathalias Angriffe auf die Männer in ihrer Gesamtheit zu scharf. Natürlich gab es nicht wenige, die ihre Frauen wie Sklavinnen behandelten, doch die meisten waren Gott sei Dank anders. Fridolin besprach alle seine Pläne mit ihr und korrigierte diese auch, wenn sie ihm gute Gründe dafür nennen konnte. Das erklärte sie Nathalia, doch ihre Freundin sah sich nur in ihrer Meinung bestätigt.
»Fridolin ist doch das beste Beispiel, dass es richtig ist, sich nicht nur auf seinen Verstand, sondern auch auf den seiner Frau zu verlassen. Würdest du ihm abraten, Klingenfeld zu übernehmen, würde er die Finger davon lassen. Natürlich können wir die Gesellschaft nicht auf einen Schlag ändern. In England zum Beispiel löcken beherzte Frauen seit Jahrzehnten gegen den Stachel der Bevormundung durch die Männer, und sie können bereits Erfolge aufweisen. Durch den Married Women’s Property Act haben verheiratete Frauen jetzt das Recht auf eigenen Besitz, den ihnen der Mann nicht mehr wegnehmen kann.«
»Dann solltest du bald heiraten, denn bis jetzt stehst du unter Onkel Thomas’ Vormundschaft. Du kannst aber nicht behaupten, dass er Dorothea wie eine Sklavin hält.«
»Nein, das tut er nicht. Ganz im Gegenteil! Man hat eher das Gefühl, er ist ihr ergebener Sklave.« Nathalia lachte hellauf und nahm das Glas Kirschsaft entgegen, das ihr die Dienerin reichte.
Auch Lore nahm ihr Glas und musterte ihre Freundin über dessen Rand hinweg. »Ich will nicht sagen, dass du unrecht hast, Nathalia, denn im Grunde stimme ich dir zu. Auch ich wünsche, dass den Frauen mehr Rechte zugesprochen werden. Doch ich würde mich niemals wie diese Engländerinnen der königlichen Kutsche in den Weg stellen.«
»Und wenn es der einzige Weg ist, den Männern beizubringen, uns als gleichwertig zu akzeptieren?«
Nathalias Tonfall ließ Lore befürchten, dass diese wirklich mit dem Gedanken spielte, eine solche Aktion zu unternehmen. Daher beschloss sie, ein unverfängliches Thema aufzugreifen. »Wolfi hat mich heute Morgen gefragt, ob er reiten darf.«
»Wir könnten ihn auf das Pony setzen, das ich für Marys Sohn gekauft habe«, schlug Nathalia vor.
»Ist das nicht zu gefährlich? Ich dachte, du nimmst ihn zu dir in den Sattel und reitest einmal auf dem Vorplatz herum.«
»Alte Glucke«, spottete Nathalia. »Ich habe mir das Pferdchen angesehen. Es reicht mir kaum bis zum Bauch und ist so gemütlich wie ein Schaukelstuhl. Außerdem kann eine von
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