Juliregen
zwei Etagen höher wie ein getadelter Schüler vor seiner Gastgeberin. Bisher hatte Ermingardes Sohn geglaubt, hoch in Friederike Fabarius’ Gunst zu stehen, denn er erhielt ein gutes Taschengeld von ihr. Nun aber saß die alte Frau, ganz in Schwarz gekleidet, in ihrem Ohrensessel, den Krückstock in der Hand, und dennoch verschaffte sie ihm das Gefühl, als sähe sie auf ihn herab.
»Ich bin sehr enttäuscht von dir, Gerhard«, erklärte sie gerade mit tadelnder Stimme. »Ich dachte, du wärst ein Ehrenmann, doch der Brief meiner Großnichte Philomena hat mir die Augen geöffnet!«
Friederike Fabarius schwenkte mit der Linken ein Blatt Papier vor Gerhards Nase, während dieser im Geiste deren Großnichte das Genick umdrehte. Wie es aussah, betätigte sich Philomena als Erbschleicherin und versuchte, ihn in ein schlechtes Licht zu setzen.
»Liebste Tante, ich begreife Ihren Unmut nicht. Ich für meinen Teil habe mir nicht mehr vorzuwerfen als andere Herren auch.« Es klang jämmerlich, aber Gerhard Klampt wusste, dass er bei seiner Erbtante mit Vorwürfen nicht weit käme.
»So? Warum schreibt Philomena dann, du wärst ein Wesen bar jeder Moral und würdest dein Geld mit Kartenspielen und schlechten Frauenzimmern vergeuden?«
Gerhard Klampt gelang es sogar, ein wenig zu lachen. »Meine liebe Tante, das sind doch Hirngespinste! Was Karten betrifft, so spiele ich höchstens eine Partie Rommé mit meiner Mutter und meiner Schwester. Sonst wette ich gelegentlich mit fünf oder höchstens zehn Mark bei den Pferderennen im Hoppegarten. Das ist eine Freizeitbeschäftigung, die ich mit Herren der höchsten Stände teile, nur dass diese ganz andere Summen einsetzen als ich und im Gegensatz zu mir meist verlieren.«
»Und was ist mit den Frauen?«, fragte Friederike Fabarius, bereits halb versöhnt.
»Meine liebe Tante, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich noch unvermählt bin. Leider kann ich meine Natur, ein Mann zu sein, nicht verleugnen. Daher suche ich, wenn ich beim Pferderennen einen guten Gewinn durch einen Außenseiter erzielt habe – und nur dann! –, zur Erhaltung meiner Gesundheit ein Haus auf, in dem auch die höchsten Herren unserer Gesellschaft verkehren.«
Nicht entschuldigen, sondern angreifen, sagte sich Gerhard Klampt. Diese elende Philomena mochte tausendmal recht haben, aber er wusste aus Erfahrung, dass seine Erbtante sich im Zweifelsfall auf die männliche, sprich auf seine Seite schlagen würde. Seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht, denn der verbiesterte Ausdruck auf dem Gesicht der Greisin verlor sich, und sie sah ihn halbwegs freundlich an.
»Heißt dies, du wirst jenes entsetzliche Haus nicht mehr aufsuchen, sobald du in den heiligen Stand der Ehe eingetreten bist?«
»Aber das ist doch selbstverständlich, liebste Tante! Es ist doch nur aus der Not heraus geboren. Sobald ich verheiratet bin, werde ich meiner Gattin ein fürsorglicher und treuer Gatte sein.«
Die alte Dame nickte zufrieden. »Dann werde ich der lieben Philomena in diesem Sinne schreiben und sie auffordern, baldmöglichst zu erscheinen, damit ich eure Vermählung in die Wege leiten kann.«
»Ich bitte darum. Richten Sie der lieben Philomena meine ergebensten Grüße aus und teilen Sie ihr mit, dass ich mich darauf freue, ihr beweisen zu können, wie sehr ich bei ihr verleumdet worden bin.«
Gerhard Klampt atmete auf. Wenn Großnichte Philomena glaubte, ihn auf diese Weise ausbooten zu können, hatte sie sich geirrt. Ihr würde nichts anderes übrigbleiben, als hierherzukommen und ihn zu heiraten, damit sie wenigstens einen Teil ihres Erbes abbekam. Auch wenn ihn die Ehe mit dieser sich so tugendhaft gebenden Frau nicht reizte, so hätte er auch einen Besenstiel geehelicht, um auf diesem Weg an das Geld der alten Frau zu kommen.
Friederike Fabarius stand auf. Die Bewegungen fielen ihr sichtlich schwer, doch Gerhard Klampt machte nicht den Fehler, ihr helfen zu wollen. Die Alte konnte sehr zornig werden, wenn man ihr das Gefühl gab, man sähe sie als gebrechlich an. Mit grimmiger Zufriedenheit sah er zu, wie sie zu ihrem Schrank humpelte, diesen öffnete und einen alten Lederbeutel herausholte. Penibel zählte sie mehrere Münzen ab und steckte sie ihm zu. »Ein Mann braucht Geld für Tabak und einen gelegentlichen Krug Bier.«
»Ich danke Ihnen, liebste Tante! Vergessen Sie nicht, Fräulein Philomena meine aufrichtigste Verehrung zu übermitteln.« Gerhard Klampt verbeugte sich vor seiner Großtante und
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