Julischatten
ihr einen entgeisterten Blick zu. »Mit meinem Auto kann ich das Res nicht verlassen, weil ich für die Schrottkiste keine ordentliche Versicherung bekomme. Und wo sollte ich auch hingehen – ohne Geld? Da draußen will mich niemand und hier drinnen gibt es keine Hoffnung auf einen Job, es sei denn, ich gehe nach Afghanistan, um mich für dieses Land, dem ich scheißegal bin, über den Haufen schießen zu lassen.« Seine Hände umklammerten das Lenkrad. »Wir stecken in der Scheiße und wir bleiben in der Scheiße«, sagte er, »da wird auch Luke mit seinen Gesängen nichts dran ändern.«
»Das tut mir so leid«, sagte Sim und ihr fiel wieder Lukas’ Bemerkung beim Pferderennen ein, dass sie nicht viel wusste über das Leben im Reservat. Inzwischen wusste sie eine Menge mehr, aber es kam ihr so vor, als verstünde sie trotzdem nichts von dem, was hier passierte.
»Hör endlich auf, dich für alles zu entschuldigen, verdammt noch mal«, herrschte Jimi sie an. »Es tut mir leid, es tut mir leid«, äffte er sie nach. »Ich kann’s nicht mehr hören.«
Ein dicker Kloß wuchs in Sims Hals. »Was erwartest du eigentlich von mir?«, fragte sie. »Woher soll ich all diese Dinge wissen, wenn sie mir niemand erzählt?«
»Mach doch einfach die Augen auf. Mach sie richtig auf, okay? Sieh, was da ist, nicht, was du sehen willst.«
Jimi wich fluchend einem Hund aus, der plötzlich am Straßenrand auftauchte, und Sim klammerte sich am Armaturenbrett fest.
»Wieso hast du mich geküsst?«
»Sei still, okay?«
Sie waren jetzt auf der Asphaltstraße. Sim verschränkte die Arme vor der Brust und sah stur geradeaus. Jimi drehte das Radio auf.
Auch Jo fragte Jimi nicht, was mit seinem Gesicht passiert war, aber als er mit seinem Mustang davongefahren war, erkundigte sie sich bei Sim.
»Er ist von ein paar Weißen verprügelt worden.«
»In Hot Springs?«
»Auf dem Schrottplatz.« Sim erzählte ihrer Tante, dass Jimi das Fell und sein Auspuffteil allein abgeholt hatte und mit zerschlagenem Gesicht zurückgekommen war.
»Vielleicht sollte ich dich nicht mehr mit den Jungs zusammen weglassen«, meinte Jo kopfschüttelnd.
»Das ist doch Unsinn«, protestierte Sim. »Es war total cool bei den Cascade Falls und wir hatten eine Menge Spaß.«
»Jimi sah nicht aus, als ob er Spaß gehabt hätte.«
»Was kann er dafür, dass da draußen immer noch Leute herumlaufen, die Indianer nicht leiden können?«
Daraufhin sagte Jo nichts, aber Sim sah die Falten auf der Stirn ihrer Tante.
Am Abend kehrte Michael zurück. Dass seine Sachen inzwischen in Jos Zimmer gewandert waren, schien ihn nicht zu stören, im Gegenteil. Er war gut gelaunt und küsste Jo immer wieder. Er und Sim übernahmen das Kochen und sie erfuhr eine Menge über den Sonnentanz, dem Michael als Gast beigewohnt hatte.
Roos und ihre Eltern hatten den Tag in den Badlands verbracht, allerdings ausschließlich dort, wo es ordentliche Straßen gab. Roos wirkte erschöpft und ging gleich nach dem Essen schlafen. Nachdem das Mädchen in ihrem Zimmer verschwunden war, verabschiedete sich auch Sim, um in den Trailer zu gehen.
Sie bedauerte, dass Roos so schnell verschwunden war, denn sie hätte sich gerne noch ein bisschen mit ihr unterhalten. Ihr fehlte jemand, mit dem sie über alles reden konnte. Über das wilde, verwirrende Gefühl in ihrem Herzen, wenn Jimi in der Nähe war. Darüber, wie man sich anstellte, wenn ein Junge einem an die Wäsche ging. Jemand, der einem sagte, wenn man sich mit seiner Meinung verrannt hatte. Oder mit seinen Gefühlen.
Jimi parkte sein Auto an der Straße und lief zum Horse Hill hoch. Im Blockhaus waren alle Fenster dunkel und auch im Trailer brannte kein Licht mehr. Zu Sim zu fahren, war eine spontane Eingebung gewesen, aber jetzt war er nicht mehr so sicher, ob er das Richtige tat.
Sie hatte sich eingeschlossen – natürlich. Er holte den Schlüssel zur Hintertür unter einem Stein hervor, öffnete sie leise und ging hinein.
Sims Zimmertür stand offen. Fahles Mondlicht fiel durch die Fenster und beleuchtete ihre Gestalt auf dem Bett. Er blieb davor stehen und betrachtete sie mit einem sehnsüchtigen Verlangen. Er wollte mit ihr schlafen, aber noch mehr wünschte er sich, dass sie jemand war, der zu ihm gehörte.
Als Jimi ihr eine Hand auf den Mund presste, fuhr sie hoch.
»Ich bin’s nur«, flüsterte er. »Nicht schreien, okay?« Sim nickte und er nahm seine Hand von ihrem Mund.
Sie setzte sich auf und rieb sich mit beiden
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