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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sein wollte, musste er die Rolle des armen, geprügelten Helden weiterspielen.
    »Ich war mir nicht sicher bei dir«, sagte er. Das war die Wahrheit. Deshalb war er hier. Um herauszufinden, ob Sim es ernst meinte. Oder ob sie mit ihm spielte – mit ihm und mit Lukas. Er hatte sie bei den Cascade Falls eine Weile beobachtet, wie sie ganz ungezwungen miteinander geplaudert hatten. Sim halb nackt, bekleidet nur mit zwei winzigen Streifen Stoff. Na gut, Lukas konnte sie nicht sehen, aber in diesem Bikini sollte sie auch kein anderer zu sehen bekommen. Lakota-Frauen gingen normalerweise in Shorts und T-Shirt baden.
    »Bedeutet ein Kuss in eurer Kultur nicht dasselbe wie in meiner?«, fragte Sim und klang schon etwas versöhnlicher.
    Jimi lehnte sich zu ihr herüber, legte seine Hand um ihr Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung. Dann küsste er sie vorsichtig. »Vermutlich schon«, flüsterte er. Seine Hand wanderte ihre Halsbeuge entlang über das Schlüsselbein in den weiten Ausschnitt ihres ärmellosen Nachthemdes und umfasste ihre linke Brust. Sim sog scharf die Luft ein, ließ ihn aber gewähren. Er küsste sie wieder, heftiger, trotz der Schmerzen, die ihm das verursachte. Dann schob er die Kerze ein Stück zur Seite und zog sich das T-Shirt über den Kopf.
    Sim stieß einen rauen Laut aus, als sie den dunkler Bluterguss entdeckte, der sich auf seiner linken Seite gebildet hatte. Sanft fuhr sie mit den Fingerspitzen darüber. Das löste Gefühle in ihm aus, die nicht zu ertragen waren. Sim empfand etwas für ihn. Und er wollte alles von ihr.
    Zunächst einmal wollte er ihr das Nachthemd ausziehen, aber sie sperrte sich. »Hey«, flüsterte er, »das hatten wir doch schon.«
    »Ich bin müde, okay?«
    Sie war was?
    Das konnte einfach nicht wahr sein. Was hatte er falsch gemacht? Er versuchte es noch einmal und sie sagte (schroffer): »Ich will nicht, Jimi, okay? Du bist ständig in Bewegung und ich kann dich nicht fassen, dich nicht begreifen. Du bist mir einfach zu schnell.«
    Zu schnell? Jimi seufzte. Sims Verweigerung kränkte ihn, aber er litt auch. Dieses Mädchen hatte ihn verhext. Er wollte mit ihr schlafen – jetzt. Weil er das brauchte. Weil er die Schmerzen und all das andere vergessen wollte, wenigstens für eine Weile. Weil er noch einmal so sanft berührt werden wollte.
    Er zog die Kerze zwischen sie, nahm Sims rechte Hand und sagte: »Streck den Finger aus.«
    Verwundert sah sie ihn an, die Hand zur Faust geballt.
    »Nun mach schon, ich tue dir nicht weh.«
    Sie streckte den Finger aus und er führte ihn ein paar Mal durch die Kerzenflamme. Dann hielt er ihn eine Sekunde lang in die Flamme und sie zog mit einem leisen Aufschrei ihre Hand zurück.«
    »Siehst du«, sagt er. »Solange du deinen Finger bewegst, passiert nichts. Aber hältst du eine Sekunde lang still, verbrennst du dich. Deshalb bin ich immer in Bewegung. Weil ich nicht verbrennen will.«
    »Du machst mir Angst«, sagte Sim.
    Nicht gut, Jimi. »Wenn ich verspreche stillzuhalten, kann ich dann eine Weile neben dir liegen?«
    Sim stieg in ihr Bett zurück, wickelte sich in die dünne Decke und rutschte zur Wand, damit er Platz hatte. Jimi blies die Kerze aus, legte sich dicht neben sie und drehte sich auf den Rücken.
    »Gute Nacht, Sim.«
    »Gute Nacht, Jimi.«
    Er hörte, wie ihre Atemzüge bald langsamer und tiefer wurden. Wie konnte sie einschlafen, während er neben ihr lag?

23. Kapitel
    Jimi lag nicht mehr neben ihr, als Sim am nächsten Morgen erwachte. Für einen Moment glaubte sie, seinen nächtlichen Besuch nur geträumt zu haben, aber dann entdeckte sie auf ihrem Nachttisch den kleinen ledernen Schildkrötenanhänger, der mit eingefärbten Stachelschweinborsten bestickt war. Das war süß. Und es überraschte sie. Ob Jimi ihn selbst gemacht hatte? Wann war er gegangen? Sie hatte nichts gemerkt. Er hatte Wort gehalten und war ganz still gewesen.
    An diesem Tag half Sim ihrer Tante im Laden. Am kommenden Wochenende wollten Jo und Michael nach Rapid City fahren, um Schmuck und Kunsthandwerk auf einem zwei Tage dauernden Workshop unter dem Motto »Save our planet« zu verkaufen, an dem auch viele Ureinwohner aus den verschiedenen Bundesstaaten teilnehmen würden. Die Nacht vom Samstag zum Sonntag würde Sim alleine am Horse Hill verbringen müssen, denn die Niederländer wollten bereits am Samstag abreisen.
    Sie half ihrer Tante, Preisschilder zu beschriften und die Sachen in verschiedene Kisten zu packen. Jo sah es

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