Julischatten
Händen über das Gesicht. »Du hast mich zu Tode erschreckt.« Sie wollte ihre Nachttischlampe anknipsen, aber Jimi hielt sie davon ab.
»Lass das Licht aus, okay?«
Sim holte eine Kerze aus dem Regal über ihrem Bett. Jimi zog sein Feuerzeug hervor und zündete sie an. Nachdem er sie auf den Boden gestellt hatte, setzte er sich ächzend mit dem Rücken zur Wand.
Sim hockte sich vor ihr Bett. »Wie bist du überhaupt hier reingekommen?«
»Der Schlüssel zur Hintertür liegt unter einem Stein.«
Sim sah ihn an und im warmen Schein der Kerzenflamme wirkte ihr Gesicht weicher. Warum bist du hier?, schien es zu fragen.
Ja, warum? Vor Schmerzen hatte er nicht schlafen können und auf einmal das dringende Bedürfnis verspürt, mit jemandem zu reden.
So war er hier gelandet, bei ihr.
»Es tut mir leid«, brachte er mühsam hervor. Sich zu entschuldigen, war ihm schon immer schwergefallen. Die Lakota gingen nicht oberflächlich mit Entschuldigungen um. Wenn ein Lakota sich entschuldigte, dann tat es ihm im Herzen leid.
»Hör auf, dich ständig zu entschuldigen, verdammt noch mal«, sagte Sim mit tiefer Stimme. »Ich kann’s nicht mehr hören.«
Jimi sah, wie ihre Augen funkelten. Er musste lachen und zuckte zusammen. Seine Rippen schmerzten bei jeder Bewegung und er fasste nach seiner Lippe, die wieder zu bluten begonnen hatte.
»Jetzt hast du auch eine Scharte in der Lippe«, sagte Sim und reichte ihm ein Kleenex.
»Ja. Wir passen gut zusammen.«
»Warum sagst du das?«
»Weil es die Wahrheit ist.«
»Luke hat gesagt, du bleibst bei keiner lange.«
»Was hat der Blödmann dir eigentlich alles über mich erzählt?«
Sim zuckte mit den Achseln. »Er ist dein bester Freund«, sagte sie. »Warum soll er das mit uns nicht wissen?«
»Ganz einfach: Weil er dich auch mag. Luke steht auf exotische Mädchen.« Jimi blickte ihr ins Gesicht. Das störrische Haar stand ihr wild vom Kopf wie Büffelgras, Licht und Schatten flackerten auf ihrem Gesicht, das ein bisschen gespenstisch aussah. Er hätte sie jetzt gerne geküsst, auf ihre vollen Lippen, die vor Überraschung leicht offen standen. Wie hatte er sich bloß an ihrer Narbe stören können?
»Erzähl mir nicht, dass du nichts davon gemerkt hast, Sim.«
»Erzähl du mir nicht, dass du auf Luke eifersüchtig bist.«
»Bin ich aber. Es ist das erste Mal, dass wir uns bei einem Mädchen in die Quere kommen. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.«
»Keine Ahnung«, wieder hob sie die nackten Schultern. »Lukas ist auch für mich ein Freund. Ihr müsst das unter euch klären.«
»Du könntest aufhören, ihm Hoffnungen zu machen.«
»Ich mache ihm was?«
»Du verhältst dich ihm gegenüber, als wäre er mehr für dich, als ein… ein Freund.«
»Ich verhalte mich, wie ich mich immer Freunden gegenüber benehme.«
Jimi stöhnte. Er wusste, dass sie recht hatte. Es waren die verdammten kulturellen Unterschiede, die alles so kompliziert machten. All die kleinen Dinge, von denen Sim nichts ahnte – nichts ahnen konnte. Dass eine Frau, die links von einem Mann saß, zu ihm gehörte. Dass ein Mädchen, wenn es länger als eine halbe Stunde mit einem Jungen allein war, ihm signalisierte, dass sie mit ihm zusammen sein wollte. Dass ein Mädchen nicht Hand in Hand mit einem Jungen herumlaufen konnte, ohne dass die anderen und er selbst sich ihren Teil dachten, auch wenn der Junge – verdammt noch mal – blind war.
»Hören wir auf damit«, sagte Jimi resigniert, »das führt zu nichts. Ich werde es ihm sagen.«
»Was wirst du ihm sagen?«
»Na, dass du und ich, dass wir zusammen sind.« Er wand sich unter ihrem prüfenden Blick.
Sim schüttelte den Kopf. »Und wenn wir uns das nächste Mal in der Öffentlichkeit begegnen, dann kennst du mich wieder nicht? Wieso schämst du dich für mich? Weil ich eine Wasicun bin? Wegen meiner Narbe? Wegen meiner Klamotten? Du bist heute verprügelt worden, weil du anders bist. Aber du verhältst dich genauso wie diese Typen, die dir das angetan haben, nur dass du nicht zuschlägst. Was du machst, ist schlimmer.«
Jimi schnürte es die Kehle zu. Seine Lüge hatte ihn eingeholt. Alles, was er getan hatte, alles, was er versäumt hatte, würde ihn irgendwann einholen. Sims Vorwurf traf ihn heftiger, als er für möglich gehalten hatte. Am liebsten hätte er ihr die Wahrheit ins Gesicht geschrien, aber dann würde sie ihn aus dem Trailer schmeißen und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Wenn er mit ihr zusammen
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