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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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schafften das Bettgestell schließlich aus dem Trailer. Eva, Jo, Roos und Sim trugen die Schüsseln und Plastikboxen mit den vorbereiteten Speisen in die Küche, während He Dog und die beiden Männer das Schlafzimmer für die Yuwipi-Zeremonie vorbereiteten. Es war ein länglicher Raum mit einem Fenster und einer Tür. Das Fenster wurde mit dunkler Folie abgeklebt, der Boden gefegt und jeder Winkel des Raumes mit Salbei ausgeräuchert.
    He Dog schleppte mit Michaels Hilfe ein zusammengerolltes Bisonfell herein und breitete es in der Mitte des Zimmers auf dem Boden aus. Er bat Sim und Roos, den frisch gepflückten Salbei darauf auszulegen. Währenddessen baute er seinen Altar am oberen Ende des Bisonfelles auf, den er mit einem handtellergroßen Medizinrad, einer großen Adlerfeder, seiner Pfeife, einer Rassel aus Rohhaut und einem Häuflein kleiner weißer Steine bestückte.
    Vier Holzstäbe, an deren oberen Enden farbige Fähnchen befestigt waren, steckten in mit Erde gefüllten Konservendosen und repräsentierten die heiligen vier Himmelsrichtungen: Schwarz für Westen, Rot für Norden, Gelb für Osten und Weiß für Süden. Mit diesen Stäben steckte He Dog den heiligen Bereich ab, der das Bisonfell mit dem Altar umfasste. Eine Schnur mit Tabakbeutelchen umspannte ihn von drei Seiten.
    Schließlich war es so weit. He Dog betrat barfuß und mit freiem Oberkörper den Raum. Ihm folgte Lukas mit offenem Haar und dem zusammengefalteten Starquilt. Der alte Mann kniete sich auf das Bisonfell vor den Altar und stopfte seine heilige Pfeife. Dabei betete er auf Lakota.
    Sim beobachtete das Ganze mit gemischten Gefühlen. Wie mochte es Roos gehen, der Hauptperson an diesem Abend? Im schummrigen Licht der Vierzig-Watt-Birne, die nackt von der Decke hing, sah sie zu dem Mädchen hinüber, das sich – und das war wirklich verrückt – ihr Leben von dieser Zeremonie erhoffte. Roos hatte die Finger ineinander verschlungen und ihr Vater legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. Sim glaubte, Tränen auf Roos’ bleichen Wangen glitzern zu sehen, und wollte jetzt nicht in ihrer Haut stecken.
    Lukas hatte Jimi gebeten, bei der Zeremonie zu helfen, aber bis jetzt war er nicht erschienen. Jo, Michael, Roos, ihre Eltern und Sim setzten sich auf Lukas’ Anweisungen hin auf den Boden um das Fell, jeder mit einem Salbeizweig in der Hand. Inzwischen stand He Dog mit geschlossenen Augen auf dem Fell, die Handgelenke auf dem Rücken gekreuzt. Lukas betrat mit dem Starquilt und starken Lederschnüren den heiligen Boden, um Henry die Hände auf dem Rücken zu verschnüren. Als er begann, den alten Mann in den Starquilt zu wickeln, öffnete sich die Tür und Jimi erschien. Alle sahen ihn an, aber niemand sagte etwas. Wortlos half er seinem Freund dabei, den Medizinmann mit der langen Lederschnur zu verschnüren wie ein Paket, aus dem nur noch der Kopf herausschaute.
    Die beiden halfen He Dog, sich mit dem Kopf zum Altar auf den Bauch zu legen. Jimi führte Lukas vom Fell und schloss den Kreis mit der Schnur aus zusammengeknüpften Tabakbeutelchen. Lukas setzte sich in den Schneidersitz und Jimi drückte ihm seine bemalte Handtrommel in die Hände. Dann löschte er das Licht und sie saßen im Finsteren. Für einen Augenblick war es totenstill. Als Lukas begann, die Trommel anzuschlagen und zu singen, übertrug sich die Stimmung der geheimnisvollen Rituale auf Sim. Angespannt saß sie da, lauschte auf den Klang der Trommel und Lukas’ Gesang:

    He wami jank, auwe,
Tunka kin sitomnija,
Wani jank, auwe.
    Nach einer Weile stimmte Jimi mit ein. Der volltönende Gesang der beiden erfüllte die vier Wände von He Dogs Schlafzimmer. Sim konnte die schwarze Dunkelheit, die sie umgab, körperlich spüren. Sie hörte das Klicken der Steine in der Rassel und fragte sich, wer sie anschlug. Etwas Felliges berührte ihren nackten Arm, und als sie das Gefühl hatte, der Flügel eines Vogels würde ihre Wange streifen, riss sie erschrocken die Augen auf.
    Es war immer noch stockfinster, aber vor ihrem Gesicht tanzten winzige Lichtfunken – wie Glühwürmchen. Der Gesang der beiden Jungen wurde intensiver, die Trommelschläge schneller und die Lichtblitze stiegen zur Decke. Sim hörte das Wispern von Stimmen, die sie nicht verstand, und verspürte einen Anflug von Panik angesichts des Unmöglichen, das hier vor sich ging. Plötzlich traf sie etwas Hartes an der Schulter und sie stieß einen heiseren Schrei aus. Was flog hier durch die Luft? Was hatte das

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