Julischatten
Richtung war der schwarze Brandstreifen jedoch nur knapp zehn Meter breit. Ein Sehender hätte sich ohne Weiteres in Sicherheit bringen können, aber für Lukas hätte eine Flucht, in welche Richtung auch immer, den sicheren Tod bedeutet.
Ghost stapfte über den schwarzen Streifen, bis er auf unverbranntem Boden stand, und begann zu grasen. Lukas und Sim liefen hinüber zum Felsvorsprung und blieben einen Meter vor dem Abgrund stehen.
»Als es immer heißer wurde«, sagte Lukas mit seiner rauen Stimme, »habe ich einen Moment daran gedacht zu springen. Aber ich konnte es nicht.«
Sim rückte an ihn heran und legte ihren Kopf an seine Schulter.
»Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?«
Lukas schien mit sich zu ringen, bewegte kaum die Lippen, als er antwortete: »Er war da.«
»Wer, Luke?«, fragte Sim. War er wieder auf Zeitreise gegangen?
»Jimi.«
»Wo war Jimi, Luke?«
»Beim Feuer.«
Sim stockte der Atem und sie glaubte, sich verhört zu haben. Aber dann sah sie Lukas’ Gesicht.
»Bist du dir sicher?«
»Ja. Ganz sicher. Ich hatte ihm eine SMS geschickt, hatte ihn gebeten, zur Schlucht zu kommen. Ich hatte dort schon seit einer Ewigkeit auf ihn gewartet und dann war er plötzlich da. Ich wusste, dass er es war, obwohl er keinen Mucks von sich gegeben hat. Ich habe seine Tabakmischung gerochen. Zwei oder drei Minuten stand er da, dann ist er einfach gegangen, ohne auf mein Rufen zu reagieren. Wenig später brannte es. Ich habe seine Nummer gewählt und das Wolfsheulen gehört. Er stand dort drüben, auf dem Hügel.« Lukas schluckte hart. »Jimi hat mich dem Feuer überlassen. Vielleicht hat er es sogar gelegt.«
Sim fehlten die Worte. Sie wollte nicht glauben, dass Jimi zu so etwas fähig war. Aber dann dachte sie an ihre Begegnung mit ihm, kurz vor dem Brand. Dachte an die Wut und den Schmerz, die in seinem Kuss gelegen hatten.
»Er war oben am Pferdehügel«, begann sie leise, »kurz vorher.« Sie erzählte Lukas von ihrer Begegnung mit Jimi, verschwieg allerdings, was er zuletzt gesagt hatte.
Lukas richtete seine schwarzen Augen in die Ferne. »Er war blind vor Eifersucht. Und er hat vergessen, dass Liebe heilig ist.«
Sim wischte sich übers Gesicht und räusperte sich. »Jimi hat mal zu mir gesagt, du würdest für ihn durchs Feuer gehen.«
Lukas nickte. »Ich bin durchs Feuer gegangen, Sim. Aber freiwillig war das nicht.«
»Glaubst du wirklich, er hat den Brand absichtlich gelegt?«
Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht. Ich dachte, ich würde alles über ihn wissen, aber nun habe ich das Gefühl, ihn nicht mehr zu kennen.«
»Wo kann er jetzt sein?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er das Res ja längst verlassen.«
30. Kapitel
Am Samstagvormittag fuhr Michael nach Rapid City, um Jo aus dem Krankenhaus zu holen. Lukas war sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde, dass er mit Sim im Trailer wohnte, und bei ihrer Ankunft war ihm übel vor Angst.
Doch Jo umarmte ihn und versicherte ihm, dass er bei ihr wohnen könne, so lange er wollte. Nach seinen Gründen, weshalb er nicht zu Bernadine zurückkehren wollte, fragte sie nicht. Das nahm eine große Last von seinen Schultern, denn auch wenn er wusste, dass Henry ihn aufgenommen hätte, wollte er lieber hierbleiben, bei Sim.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Lukas versuchte, sich nützlich zu machen, wo ihm das möglich war. Schnell wurde Jos Trailer zu einem neuen Zuhause für ihn und Jo, Michael und Sim eine Art Ersatzfamilie.
Die warmen Nächte gehörten Sim und ihm allein, dem Verschmelzen ihrer Körper, ihren aufwühlenden Gesprächen und den Geschichten, die sie sich gegenseitig vorlasen. Er war mit Ghost nach Manderson geritten, um bei Pinkys Kondome zu kaufen. Im Laden hatte er Chance getroffen und erfahren, dass Jimi seit dem Feuer verschwunden war.
Vielleicht hatte er das Reservat längst verlassen und war irgendwo in Montana oder Idaho, auf dem Weg an den Pazifik. In Sicherheit vor Tyrell und Bernadine. Eines Tages würde Lukas ihm vielleicht verzeihen können. Aber noch schmerzte der Verrat wie eine offene Wunde und Linderung verschaffte ihm einzig und allein Sims Nähe.
Der Sonntag kam, es war sein achtzehnter Geburtstag. Niemand wusste davon und er behielt es für sich. Am frühen Morgen ritt er mit Sim zum Grund der Schlucht, wo sie eine Weile im Schatten saßen und Küsse tauschten, eine Beschäftigung, der sie niemals müde wurden und die auch diesmal
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