Julischatten
noch am Leben.«
»Ich wollte ihn warnen«, sagte Lukas. »Er…« Die Stimme versagte ihm erneut und er schüttelte nur den Kopf. Tränen rannen aus seinen schwarzen Augen.
Jo hob die Hände. »Damit darfst du gar nicht erst anfangen, Luke. Was passiert ist, war nicht deine Schuld. Und Jimis auch nicht. Die Schuldigen werden hoffentlich bald hinter Gittern sitzen.« Sie erhob sich. »Lasst uns versuchen zu schlafen, es war ein verdammt schrecklicher Tag. Morgen sehen wir weiter.«
Lukas lag auf dem Rücken mit geschlossenen Lidern, die Hände im Nacken. Sim lag neben ihm, doch ihre Körper berührten sich nicht. Der Geist des toten Jimi schwebte zwischen ihnen. Verdichtete Energie, geballte Lebenslust – für immer zerstört und doch noch vorhanden.
Lukas dachte an Rot. Er hatte immer noch das klebrige Gefühl von Blut an seinen Händen, den kupfernen Geruch in der Nase und Jimis rasselnden Atem im Ohr. Würde er jemals wieder schlafen können?
Der Schmerz des Verlustes traf ihn nicht mit voller Wucht, er kam in Schüben. Breitete sich in seinen Gedanken und seinem Körper aus wie ein Grasfeuer und hinterließ eine furchtbare Schwärze, die sämtliche Farben in seinem Inneren auslöschte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Der Schmerz erstickte alles. Lukas wollte ihn schlucken, doch es gelang ihm nicht. Er war wie betäubt. Eine Leere hüllte ihn ein, so kalt und unendlich, dass er das Gefühl hatte, ins Bodenlose zu fallen.
Lukas wusste nicht, wie lange er so gelegen hatte, als er Sims Berührung auf seinem Gesicht spürte, leicht wie Spinnweben. Sanft fuhren ihre Finger die Konturen seines Gesichts nach. Er konnte sich immer noch nicht rühren, hatte aber das Gefühl, dass Jimis ruheloser Geist aus dem Raum verschwunden war.
Sims Küsse waren wie Regentropfen auf seiner Haut. Nach und nach holten ihre Küsse, ihre zärtlichen Hände ihn aus der Dunkelheit und brachten die Farben zurück. Das Blut kreiste in seinen Adern, er konnte sich wieder bewegen und nahm Sim in seine Arme. Ihre weichen Brüste streiften seine Brust. Als er diesmal fiel, war er nicht alleine.
31. Kapitel
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages hielt ein schwarzer Jeep der Stammespolizei vor dem Blockhaus. Lone Elk und Lamotte, die beiden Polizisten, die zuerst am Tatort gewesen waren, stiegen aus. Sie brachten die Kartons mit Lukas’ Sachen, die vom FBI beschlagnahmt worden waren.
Bei ein paar eisgekühlten Getränken saßen sie zusammen an Jos Küchentisch und die Polizisten berichteten, was am darauffolgenden Tag in sämtlichen Zeitungen stand.
Tyrell und Bernadine Jumping Eagle waren am gestrigen Abend in einem Motel in Rapid City verhaftet worden. Die Polizei hatte fünf Kilo Kokain, drei Pistolen und zwanzigtausend Dollar in bar in ihrem Zimmer gefunden. Das FBI war Bernadine und ihrer Truppe schon seit Wochen auf der Spur gewesen, hatte aber noch nicht zugeschlagen, weil sie auch an die Zulieferer in Denver herankommen wollten, von denen Jimi und Tyrell das Kokain in Abständen von zwei bis drei Wochen abgeholt hatten.
Chance, Marcus und Nunpa und die Mädchen Debbie und Tunie waren festgenommen worden. Debbies und Tunies Kinder, der zwölfjährige Trent und die achtjährige Misty, hatte man bei Pflegeeltern untergebracht. Von Teena und Roxie fehlte jede Spur.
Clarence Runner, der Junge, der Jimi erschossen hatte, war ebenfalls verhaftet worden. Clarence war weitläufig verwandt mit Tyrell und Bernadine, stammte aber aus dem benachbarten Rosebud-Reservat. Vermutlich hatte er Jimi und Lukas zum ersten Mal in seinem Leben gesehen und nicht gewusst, dass er den Falschen im Visier hatte, als er abdrückte.
Während Chief Lamotte berichtete, spürte Lukas, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich, und er klammerte sich an der Tischkante fest. In den vergangenen drei Jahren hatten Tyrell und Jimi Kokain im Wert von zwei Millionen Dollar aus Denver ins Reservat gebracht.
»Die kleineren Kinder mussten das Kokain in Zeitungsbriefchen verpacken, die größeren das Zeug an den Mann bringen«, sagte Lamotte. »Tyrell Jumping Eagle war der geborene Dealer und Zuhälter. Er hat den Stoff nicht nur für Dollar weitergegeben, sondern auch gegen Waffen, Stereoanlagen und sexuelle Gefälligkeiten.«
Lukas wurde übel. »Was ist mit den Mädchen?«, presste er hervor.
»Auch die Mädchen mussten mitmachen«, antwortete Officer Lone Elk. »Sogar die kleine Misty hat Zeitungen zurechtgeschnitten und Koks verpackt. Die größeren Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher