Julischatten
brennen, aber ich war so wütend auf dich wegen Sim, da sind mir die Sicherungen durchgebrannt. Ich bin nicht stolz darauf, okay?«
»Ich bin blind, Jimi, hattest du das vergessen? Ich konnte nicht sehen, in welche Richtung ich laufen musste, um den Flammen zu entkommen.«
»Luke«, sagte Jimi mit belegter Stimme, »ich weiß, dass das jetzt nicht geht, aber vielleicht kannst du mir eines Tages verzeihen.«
»Vielleicht«, erwiderte Lukas.
»Ich sollte jetzt langsam verschwinden, bevor Tyrell oder Bernadine zurückkehren.«
Lukas reichte Jimi sein Kästchen, doch er schob es zu ihm zurück.
»Happy Birthday«, sagte er.
»Aber…«
»Nein, behalte es. Du bist der Würdigere von uns beiden. Pass gut darauf auf.«
Verwundert hielt Lukas das Kästchen in den Händen. All die Jahre hatte Jimi davon gesprochen, wie wichtig es ihm war, Tashunka Witkos Medizin zurückzubekommen. Und nun gab er sie einfach weg.
»Ist Sim hier?«, fragte Jimi.
»Ja.«
»Ich will ihr nicht begegnen, okay? Sag ihr… nein, sag lieber nichts.«
Lukas spürte Jimis Hand auf seinem Arm. »Adios, Amigo.«
»Toksa aké, Jimi.« Lukas drehte sich um und ging durch den Flur in die Wohnküche. Jimi folgte ihm.
Und dann brach plötzlich ohne jede Vorwarnung die Hölle los.
Ein gellender Schrei – war das Sim, die da schrie? Jemand stieß ihn zur Seite, das Kästchen flog aus seiner Hand und ein Schuss zerriss die Luft.
Lukas stürzte zu Boden. Seine Ohren dröhnten und er wartete auf den Schmerz, doch der kam nicht. Schnelle Schritte, eine Tür knallte und neben ihm sackte ein Körper zu Boden.
»Ruf einen Krankenwagen!«
War das Michaels Stimme?
»Mein Gott.« Das war Jo.
Und Sim? Was war mit Sim?
Der Schuss hallte noch in seinen Ohren. Lukas wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm den Dienst. Er tastete neben sich, kroch auf allen vieren zu der am Boden liegenden Gestalt, hörte den mühsamen Atem.
»Falsches Timing, Amigo«, stieß Jimi hervor. Aus seiner Brust kam ein rasselndes Geräusch.
Lukas’ Rechte glitt über Jimis Körper und erspürte nur ein paar Zentimeter neben dem flachen Kiesel den klebrig-feuchten Fleck auf seiner Brust. Kupferner Blutgeruch stieg ihm in die Nase.
»Nicht reden«, sagte er. »Jo ruft einen Krankenwagen, die sind gleich da. Du schaffst das.«
Jimi lachte, doch das Lachen ging in einem grässlichen Hustenanfall unter. »Ich hab’s wiedergutgemacht«, stieß er hervor. »Ich bin dein Hunka-Bruder, auf Leben und Tod.«
»Das bist du immer gewesen, Champ.«
Das Röcheln wurde schwächer und Lukas erschrak, als Jimis Hand seine packte und fest zudrückte. Doch dann wurde sein Griff schlaff und das Röcheln erstarb. Auf einmal herrschte unmenschliche Stille. Lukas spürte einen leisen Luftzug in seinem Gesicht und ein kalter Schauer wanderte über seinen Rücken.
»Jimi?« Ein Schluchzen kam aus seiner Kehle. »Jimi?«, flüsterte er, erwartete jedoch keine Antwort mehr. Die Seele hatte den Körper seines Freundes bereits verlassen.
Lukas fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Er hörte auf, seinen Hunka-Bruder zu rufen. Wenn man die Toten bei ihrem Namen rief, dann hatten sie das Gefühl, zurückkehren zu müssen. Doch Lukas wollte, dass Jimi seinen Weg auf die andere Seite in Frieden gehen konnte.
Ein paar Stunden später, als sie alle vier in stummer Beklemmung in Jos Blockhaus am Tisch saßen, kam Sim das Ganze immer noch wie ein einziger großer Albtraum vor.
Dieser picklige Junge mit dem ausrasierten Haar, der mit der Waffe in der Hand auf der Couch saß, als sie Bernadine Jumping Eagles Haus betrat. Die schwarze Revolvermündung, die erst auf sie zielte und dann in Lukas’ Richtung schwenkte, der vollkommen ahnungslos im Flur auftauchte und direkt in die Mündung lief. Ihr eigener Schrei. Jimi, der den Freund zur Seite stieß und statt seiner die Kugel abbekam. Der rote Fleck auf Jimis weißem T-Shirt, der rasend schnell größer geworden war. Jimi Little Wolfs ungläubiger Blick, bevor er in sich zusammensackte. Die blanke Angst, die sich auf Lukas’ Gesicht spiegelte. Die anschließende, nicht enden wollende Befragung durch die Stammespolizei und später durch das FBI.
Sim hatte mit Lukas zusammen auf dem Sofa gesessen und sich an ihn geklammert, hatte alles wie durch einen Nebel wahrgenommen. Lukas war vollkommen erstarrt gewesen, hatte die Fragen der Beamten mechanisch beantwortet – wie ein Automat.
Erst als Jimis Leiche abtransportiert und in die Gerichtsmedizin
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