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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sahen nur die schrägen Klamotten, nicht sie. Aber Denver war nicht die thüringische Provinz, sondern eine amerikanische Hauptstadt, da sollten die Menschen an auffälliges Styling gewöhnt sein – oder etwa nicht?
    Das, was Sim inzwischen trug, ließ sich in keine Schublade mehr stecken. Sieben Löcher mit Silberringen im rechten Ohr und drei im linken Ohr. Ihre Klamotten: schwarze Lederstiefel mit weißen Punkten, kunstvoll zerrissene Nylons, bunte Oberteile, Kleider und kurze Röcke aus Stoffen, die sie selber zuschnitt, bleichte, batikte, färbte und neu zusammennähte – mit Knöpfen, Pailletten und Spitze besetzte. Sie nannte es die Sim-Phase. Es war eine Mischung aus allem, was es so gab, Hauptsache, nichts passte zusammen. Hauptsache, es lenkte von dem ab, was darunter war.
    Meistens funktionierte das auch.
    »Unsere Tochter sieht aus wie ein Paradiesvogel«, hatte ihr Vater mit einem tapferen Lächeln behauptet. »Nein, wie eine Vogelscheuche«, hatte ihre Mutter widersprochen.
    Sim wünschte, sie wäre adoptiert. Dann hätte sie wenigstens ein Ziel gehabt. Sie hätte sich auf die Suche nach ihren richtigen Eltern machen können. Aber das mit dem Wünschen war so eine Sache – meistens funktionierte es nicht. Deshalb saß sie jetzt neben diesem Cowboy im karierten Hemd und war unterwegs ins Nirgendwo.
    Kurz vor dem Landeanflug auf Rapid City riss die Wolkendecke auf und Sim sah endloses weites Grasland unter sich. Kaum mal ein Baum, geschweige denn Häuser. Ein großes gelbgrünes Nichts, das in der Ferne in eine bizarre Kraterlandschaft überging.
    Von ihrem Vater wusste sie, dass Tante Jo einsam wohnte, ungefähr sechs Meilen vom nächsten Ort entfernt, der Manderson hieß . Ihre Google-Earth-Recherche vor ihrer Abreise war ernüchternd gewesen und hatte den Gedanken an das Wort Verbannung heraufbeschworen.
    Sim hatte ihre Tante Jo ewig nicht mehr gesehen und fragte sich, ob sie wohl miteinander klarkommen würden. Die Schwester ihres Vaters war immer eine lustige Tante gewesen, sie hatte die Dinge stets leicht genommen – im Gegensatz zu ihrem Bruder. Hoffentlich hatte sich Tante Jo nicht verändert und war inzwischen genauso drauf wie ihre Eltern. Sim hatte keine Lust, sich jeden Tag irgendwelche Moralpredigten oder Vorträge über das wahre Leben anhören. Obwohl das am Ende immer noch besser war als die Entzugsklinik, in die ihre Eltern sie einsperren wollten. Davor hatte sie ziemlichen Schiss gehabt und war auch jetzt noch froh, dass es eine Alternative gegeben hatte.
    Im Pine-Ridge-Indianerreservat waren der Besitz und das Trinken von Alkohol unter Strafe verboten. Wer von der Polizei erwischt wurde, musste Strafe zahlen und für acht Stunden hinter Gitter. Diese Tatsache hatte ihren Vater auf die Idee gebracht, sie zu Tante Jo zu schicken.
    Was sie in Pine Ridge erwartete, war Sim immer noch nicht klar. Sie wusste nur, dass sie ihrer Tante im Laden und bei den Pferden helfen sollte. Pferde hätten therapeutische Wirkung, hatte Jo ihren Eltern am Telefon versichert. Sim hatte nichts gegen Pferde, solange sie sich auf der anderen Seite des Zaunes befanden, aber das interessierte offensichtlich niemanden. Sie traute keinem Tier, das größer war als sie selbst. Abgesehen davon: Ihr ganzes Leben war ein Fiasko und sie machte sich wenige Hoffnungen, dass sechs Wochen umgeben von Armut plus ein bisschen Pferdetherapie daran etwas ändern würden.
    Der Cowboy neben ihr schlug seine Zeitschrift zu und Sim blickte hoch. Über den Sitzen leuchtete das Anschnallzeichen auf. In zehn Minuten würden sie landen.

2. Kapitel
    Der Regionalflughafen von Rapid City lag ein paar Meilen außerhalb der Stadt, mitten in der Prärie. Der kleine Flieger wackelte ziemlich beim Landeanflug und Sim war froh, als sie endlich sicheren Boden unter den Füßen hatte.
    Während sie in der kleinen Halle am Gepäckband stand und auf ihre Reisetasche wartete, blickte sie sich nach ihrer Tante um. Der Flieger war mit Verspätung gelandet, Tante Jo hätte längst da sein müssen. Sim war todmüde, fror in der klimatisierten Halle und wollte nur noch ins Bett.
    Einer nach dem anderen verschwanden die Reisenden durch die Drehtür nach draußen und mit ihnen die Verwandten und Bekannten, die sie abgeholt hatten.
    Immer noch keine Spur von Tante Jo. Langsam wurde Sim mulmig zumute und ihre Müdigkeit wandelte sich in nervöse Unruhe. Was, wenn ihre Tante einen Unfall gehabt hatte? Wenn es dunkel wurde und niemand kam, um sie

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