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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Dunkelheit, dorthin, wo die beiden verschwunden waren, dann machte er kehrt, um zum Feuer zurückzugehen. Sein Platz neben Marola war nicht mehr frei. Fucking-Tyrell hatte ihn eingenommen, was ihr offensichtlich nichts ausmachte. Jimi fand Tyrell abstoßend, weil er wusste, was für ein skrupelloser Mensch der leibliche Sohn seiner Pflegemutter war. Dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, andere bestahl und dass er die Mittel hatte, jeden, der es wagte, sich gegen ihn zu stellen, mundtot zu machen.
    Tyrell flüsterte Marola etwas zu. Ihre blauen Augen blitzten und sie lachte schrill. Das Lachen verursachte Jimi Gänsehaut. Ihr war jeder recht, der sie mit dem nötigen Stoff versorgte. Seit der Sache vor knapp zwei Jahren war sie nicht mehr dieselbe. Marola Swallow war einfach sensationell gewesen, allseits begehrt im ganzen Reservat. Eine Herausforderung für Jimi, eine echte Trophäe. Und dann war sie schwanger geworden.
    Er starrte in die Flammen, überschwemmt von Schuldgefühlen, von Hass und Hoffnungslosigkeit. Und Angst.
    Jemand trat aus der Dunkelheit heraus neben ihn. Es war Chance Spotted Elk. Der magere Sechzehnjährige lebte seit elf Jahren bei Bernadine, ein Jahr länger als er selbst. Und obwohl sie sich schon seit Ewigkeiten kannten, wusste Jimi (abgesehen davon, dass auch Chance einer von Tyrells Laufburschen war) wenig über diesen stets gut gelaunten Jungen. Seine Eltern lebten beide noch, saßen aber in Sioux Falls hinter Gittern. Chance hatte ihm mal offenbart, dass er ganz froh war über die Tatsache, dass sie weggesperrt waren und er nicht bei ihnen leben musste.
    »Hey Champ, hast du Lust, ein paar Cookies zu drehen? In ein paar Minuten treffe ich mich mit einigen Leuten am White Horse Creek. Bist du dabei?«
    »Klar«, sagte er. Das Angebot kam Jimi gerade recht, um seine bitteren Gedanken loszuwerden und den Kopf freizukriegen. Dann fiel ihm wieder ein, dass sein Tank leer war.
    »Ich habe einen Kanister dabei«, sagte Chance, als Jimi seinem Pflegebruder davon erzählte. »Drei Gallonen, macht zwanzig Bucks.«
    »Hey, Bro, das ist Wucher.« Jimi boxte Chance vor die Schulter.
    Der Junge feixte und zuckte mit den Achseln. Jimi wusste, dass Chance sich nicht herunterhandeln lassen würde.
    »Okay, du Halsabschneider.« Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und gab Chance zwei Zehner. Zusammen gingen sie zu Chance’ Wagen, um den Kanister zu holen. Nachdem Jimi seinen Tank wieder aufgefüllt hatte, fuhr er den Rücklichtern von Chance’ klapprigem Ford hinterher zum White Horse Creek.
    Der unbefestigte Weg führte eine lang gezogene Anhöhe hinauf. Als er die Hügelkuppe erreicht hatte, ging Jimi vom Gas und trat auf die Bremse. Vor ihm, in der Senke, konnte er die Lichter der anderen Autos deutlich erkennen. Er zählte drei Wagen (vier mit Chances Schrottkarre) und das Spiel hatte bereits begonnen.
    »Cookiedrehen« war ein harmloser Ausdruck für ihren halsbrecherischen Flirt mit dem Tod. Sie stiegen in ihre Wagen, beschleunigten auf fünfzig Meilen die Stunde und gingen dann mit voller Wucht auf die Bremsen. Das Auto drehte sich um die eigene Achse und hinterließ eine kreisrunde Spur im Boden. Einen Cookie.
    Das Spiel war lebensgefährlich, denn wer sein Auto nicht hundertprozentig beherrschte, konnte sich bei diesem waghalsigen Manöver leicht überschlagen oder gegen die Felswand knallen. Die Autos waren ausnahmslos alt und hatten in der Regel keine Gurte.
    Im vergangenen Jahr, in einer sternenklaren Nacht im Mai, war Timmy am White Horse Creek gestorben. Das Wrack seines Wagens rostete dort unten vor sich hin. Es lag auf dem Dach, halb in der Uferböschung, verdeckt vom Grün der Sträucher. Tim He Dog war nur sechzehn Jahre alt geworden. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, während Jimi versucht hatte, mit seinen von Blut glitschigen Fingern die klaffende Wunde an Timmys Hals zu schließen. Eine Wunde, die er sich bei seinem Flug durch die Windschutzscheibe zugezogen hatte und aus der das Blut im Rhythmus des Herzschlages pulsierte.
    Jimi schluckte und versuchte, die Bilder von Timmys schreckgeweiteten Augen und dem vielen Blut zu verscheuchen. Er beherrschte seinen 1992er-Ford-Mustang. Er hatte schon Hunderte Cookies gedreht, und auch wenn es manchmal hart an der Grenze gewesen war, passiert war ihm nie etwas. Weil er den Talisman auf seiner Brust trug – davon war er überzeugt. Und weil seine Ahnen aus dem Grab heraus schützend die Hand über ihn hielten.
    Seine

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