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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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fiel.
    Aber ein paar Monate später starb auch sein Großvater. Jimi hatte das Kästchen geöffnet und den Wotawe um seinen Hals gehängt, weil er hoffte, dass er ihn gegen den Schmerz des Verlustes und gegen die Einsamkeit schützen würde. Wenige Tage später wurde er vom Jugendamt in Bernadine Jumping Eagles Obhut gegeben.
    Das Holzkästchen mit seinem geheimnisvollen Inhalt hatte sich, eingewickelt in ein T-Shirt, unter seinen Sachen befunden. Doch im heillosen Durcheinander seiner Ankunft im Präsidentenpalast war es plötzlich verschwunden.
    Zusammen mit der Sozialarbeiterin hatte Bernadine ihm das Zimmer gezeigt, das er mit dem anderen Neuen, der ebenfalls unterwegs war, bewohnen würde. Er hatte seinen abgeschabten Lederkoffer mit ein paar Kleidungsstücken und seinen Rucksack mit den übrigen Habseligkeiten dort aufs Bett gelegt. Bernadine hatte ihn an die Hand genommen, hatte ihn im Haus herumgeführt und den anderen vorgestellt. Tyrell, Chance, Debbie, Tunie und ein paar anderen, die jetzt nicht mehr da waren.
    Das Doppelhaus war ihm riesig und ungeheuer luxuriös erschienen und alle, die ihn begrüßten, waren freundlich gewesen und gut angezogen. Damals hatte er durch das taube Gefühl seines Kummers hindurch gedacht, dass er es hätte schlechter treffen können.
    Dann war Lukas gebracht worden und die Show (zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht wissen, dass es eine war) wiederholte sich. Lukas’ Sozialarbeiterin erklärte Bernadine und den anderen Pflegekindern, was sie im Umgang mit einem Blinden beachten mussten. Lukas zu beobachten, das hatte ihn ein wenig abgelenkt von sich selbst und seinem Schmerz über den Verlust des Großvaters und seines Zuhauses. Er ging mit, als Lukas aufs Zimmer gebracht wurde, und sah gerade noch, wie Tyrell, der damals vierzehn oder fünfzehn gewesen war, aus dem Zimmer huschte.
    Als er und Lukas schließlich allein waren und sie ihre Sachen auspackten, um sie in den gemeinsamen Schrank zu räumen, hatte er sein Kästchen vermisst. In panischem Schrecken hatte Jimi das ganze Zimmer durchwühlt. Vergeblich. Den Rest des Tages hatte er wie gelähmt auf seinem Bett gesessen und gegrübelt, was er tun konnte.
    Bereits an seinem ersten Tag in Bernadine Jumping Eagles Haus hatte er begriffen, dass er vor Tyrell auf der Hut sein musste. Er war der Prinz im Palast und durfte uneingeschränkt alles tun. Sogar die älteren Pflegekinder hatten Angst vor ihm. Jimi erzählte niemandem etwas vom Diebstahl des Kästchens, weil er wusste, dass er auf diese Weise keine Chance hatte, es zurückzubekommen. Damals schwor er sich, nur so lange bei Bernadine zu bleiben, bis er wiederhatte, was ihm gehörte. Dann wollte er von diesem Ort verschwinden, an dem er so schändlich bestohlen worden war.
    Das war vor zehn Jahren gewesen und er war immer noch da. Tashunka Witkos Medizin befand sich in Tyrells abgeschlossenem Spind, an diese Tatsache klammerte sich Jimi wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Er musste in der Nähe der heiligen Dinge bleiben, sie beschützen, so gut es ging. Bekam Tyrell spitz, welcher Wert in diesem unscheinbaren Kästchen schlummerte, wären die heiligen Dinge für immer verloren. Mit der Vergangenheit seines Volkes hatte Bernadines Sohn nichts im Sinn, er würde das Kästchen sofort an den meistbietenden Sammler losschlagen. Für ein paar Dollar hätte Tyrell sogar seine Großmutter verkauft.
    Deswegen schwieg Jimi. Wenn er volljährig war und das Jugendamt ihm nichts mehr konnte, würde er das Schloss an Tyrells Spind knacken, sich das Kästchen holen und auf Nimmerwiedersehen aus dem Reservat verschwinden.
    Lukas versuchte, ihn immer wieder davon zu überzeugen, dass das Leben schön war und jeden neuen Tag etwas Gutes passieren konnte. Er hatte ihn glauben gemacht, dass die Zukunft eine Entscheidung war, die er selbst treffen musste. Doch irgendwann in den vergangenen Jahren war Jimi, ohne es zu merken, falsch abgebogen und war auf einem rutschigen Abhang gelandet. Eine ganze Weile war er nun schon auf Talfahrt und wusste nicht, ob er am Ende die Kurve kriegen würde.
    Jimi löste die Handbremse, fuhr hinunter ins Tal und parkte seinen Mustang neben dem Ford seines jüngeren Pflegebruders. Er stieg aus und begrüßte die anderen, die mit ihren alten Autos zum Creek gekommen waren: Leo Poor Bear, Marolas Cousin Arvin Swallow, Tyler Old Fish, Marcus Jandreau und Vic Ten Fingers. Mit Leo und Arvin verband ihn so etwas wie Freundschaft, Tyler, Vic und Marcus kannte

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