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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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er, wie man sich eben kennt im Res. Alle waren aus demselben Grund hier versammelt: Sie liebten den Kick, den Rausch der Gefahr und sie waren sich darüber im Klaren, dass der Einsatz für dieses Spiel ihr Leben war.
    Sie legten die Reihenfolge fest und Jimi stieg wieder in seinen Wagen. Leo startete als Erster. Jimi hörte das Aufheulen des Motors, sah die Rücklichter von Leos Datsun im Dunkeln, sah, wie das Heck des Wagens kurz vor der Felswand ausbrach und die Kiste sich um ihre Achse drehte.
    Leo Poor Bear schaffte keinen vollständigen Cookie.
    Jimi war der Nächste. Er brachte seinen Mustang in Position, löste die Bremse und trat aufs Gas. Der Wagen wurde rasch schneller. Jimi beschleunigte auf vierzig Meilen. Er schwelgte im Rausch der Gefahr, liebte den Adrenalinstoß, kurz bevor er die Bremse anzog. Es war dasselbe Gefühl wie noch vor wenigen Stunden beim Pferderennen. Die wilde Jagd im Gelände, der Schweißgeruch seines Pferdes, das Gefühl, Flügel zu haben und einfach davonfliegen zu können.
    Jimi wusste, den anderen ging es genauso wie ihm: Beim Pferderennen wie beim Cookiedrehen forderten sie den Tod heraus, sie spielten mit ihrem Leben, weil es nichts wert war, hier im Res. Weil es niemanden interessierte, dass sie sich allein gelassen fühlten. Dass sie Angst vor der Zukunft hatten, weil die Zukunft für Kids wie sie ein trauriger Ort war. Und weil sie Angst vor dem hatten, was sie außerhalb des Reservats erwartete.
    Draußen, das war eine unbekannte Welt mit fremden Regeln. Das Res, das waren elftausend Quadratmeilen Ödland, die Bewohner vom Rest der Welt vergessen. Für junge Leute wie ihn, Leo, Chance und die anderen gab es keine Jobs, es sei denn, sie gingen zur Army und kämpften in Afghanistan.
    Manchmal beneidete Jimi seinen Freund darum, dass er das alles nicht sehen musste: den Müll, die Verwahrlosung, die von Alkohol, Drogen und Hoffnungslosigkeit gezeichneten Gesichter seines Volkes. Ohne das alles täglich vor Augen zu haben, war es leicht zu sagen: Das Leben ist schön.
    Manchmal hatten er und Lukas darüber gestritten, was sie tun konnten, um die Dinge zu ändern. Krieger werden wie Crazy Horse und nach Afghanistan gehen, um ehrenvoll (oder tot) zurückzukehren. Oder studieren und ins Res zurückgehen, um Hoffnung zu verbreiten und neue Wege aufzuzeigen.
    Nicht schwer herauszufinden, wer welcher Lösung den Vorrang gab.
    Das Dröhnen des hochgefahrenen Motors vibrierte in Jimis Herzen, die Felswand raste auf ihn zu. Die rote Nadel auf dem Tacho glitt über die Fünfzig. Jimi riss das Steuer herum und zog die Handbremse. Der Wagen brach aus und das Heck drehte sich. Die Scheinwerferlichter der anderen Autos rasten an ihm vorbei, wahnwitzige Leuchtstreifen in der Dunkelheit. Erdklumpen und Steine krachten gegen die Radaufhängung seines Mustangs. Ihm schwindelte, sein Herz raste, die Drehung katapultierte ihn in höhere Sphären als jeder Joint, den er an diesem Abend geraucht hatte. Er fühlte sich körperlos, ganz Geist, und brauchte nichts anderes mehr zu sein.
    Nach einer kompletten Dreihundertsechzig-Grad-Drehung kam der Mustang zum Stehen. Jimi schloss die Augen. Ein paar Sekunden lang genoss er noch das Gefühl des Losgelöstseins, dann vernahm er das Rauschen des Blutes in seinen Ohren und den wilden Schlag seines Herzens. Er war zurück in seinem Körper, zurück in der Wirklichkeit. Er ließ den Motor aufheulen, gab Gas und fuhr zurück zu den anderen, die ihn mit lautem Pfeifen und Johlen empfingen.

12. Kapitel
    Nachdem er Sim bei ihrer Tante abgeliefert hatte, machte sich Lukas mit Ghost direkt auf den Heimweg. Er verspürte keine Lust, noch einmal zum Festplatz zurückzukehren. Die meisten dort würden inzwischen ohnehin bekifft oder betrunken sein und dann fühlte er sich jedes Mal ausgeschlossen, mehr noch als durch seine Blindheit.
    Wind kam auf und die Luft schmeckte nach fernem Regen. Durch den Wind bekam die Dunkelheit, die ihn umgab, Konturen. Er brachte die Dinge zum Klingen, verwandelte seine eindimensionale Finsternis in eine dreidimensionale Welt.
    Flüsternd fuhr der Wind durchs Gras, ließ die Blätter in den Beerenbüschen rascheln und rief die Geister herbei, gute wie böse. Lukas fürchtete sich nicht vor den Geistern, sie gehörten ebenso zu seiner Welt wie die Menschen. Geister waren körperlos, aber das blieben die meisten Menschen für ihn auch.
    Leises Donnergrollen ertönte in der Ferne. Wenn es donnerte, bekam er das Gefühl, als hätte der

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