Julischatten
Teena wirklich. Aber es schien so, als ob ihr Grips nicht ausreichte, sich die einfachste Regel zu merken, die das Zusammenleben mit einem Blinden erforderlich machte.
Lukas tastete über die vollgestellte Arbeitsfläche, warf Müll in den Abfalleimer, fluchte, als er in Bohnenbrei fasste, den jemand hatte stehen lassen, und begann, das Geschirr abzuwaschen. Niemand außer ihm schien sich an diesem Chaos zu stören – aber das war auch nichts Neues.
Im Kühlschrank fand er nur Ketchup und Salatdressing und eine Dose, von der er annahm, dass es ein Soda Pop war. Er schüttelte den Trinkwasserkanister, aber einer der anderen hatte ihn leer in den Kühlschrank zurückgestellt. Auch hinter dem Vorhang nur leere Kanister. Niemand fühlte sich dafür verantwortlich, die verbrauchten Vorräte wieder aufzufüllen.
Lukas konnte nach drüben gehen, in Bernadines Haus, da gab es mit Sicherheit Trinkwasser. Aber er wollte Tyrell nicht begegnen, der ihn behandelte wie einen geistig Behinderten. Und wenn die Kleinen, die bestimmt noch vor dem Fernseher saßen und Horrorfilme guckten, ihn sahen, würden sie ihn in Beschlag nehmen und nicht wieder weglassen.
Lukas holte sich ein sauberes Glas, drehte den Wasserhahn auf und ließ kaltes Wasser hineinlaufen. Er wusste, dass haufenweise schädliche Stoffe darin waren, Stoffe, die vermutlich für das Nierenversagen bei Jimis Mutter verantwortlich waren.
Im Frühjahr hatte Jo einen deutschen Wasserexperten zu Gast gehabt, der auch Bernadines Leitungswasser auf Schadstoffe getestet hatte. Und er war fündig geworden: Radon, Uranium, Arsen. Nein, Lukas mochte das Wasser aus der Leitung nicht mehr trinken.
Er drehte den Wasserhahn wieder zu und schüttete das Wasser in den Ausguss. Mit der Dose aus dem Kühlschrank setzte er sich draußen auf die alte Autositzbank unter dem Dach der Veranda. Er ließ den Verschluss knacken und süßer Colageruch stieg ihm in die Nase. Er hatte Durst und trank.
Staub und kleine Pflanzenteile wehten ihm ins Gesicht, die Blätter der Pappel rauschten. Der Ozongeruch nach Regen war stärker geworden. Das Gewitter war jetzt ganz nah, aber Lukas wusste, dass das nichts zu bedeuten hatte. Wenn in zwei Meilen Entfernung ein Gewitterguss herunterkam, hieß das noch lange nicht, dass es auch hier regnen würde.
Scheppernd trieb der Wind eine leere Getränkedose vor sich her. Lukas genoss die kühle Nachtluft auf seiner Haut und lauschte den Geräuschen, die von der Koppel kamen. Das leise Schnauben der Pferde, die entspannten Hufschläge, das Mahlen der Kiefer. Etwas krabbelte über sein Gesicht – eine Spinne – vorsichtig wischte er sie weg. Schließlich klopften die ersten Tropfen auf das Vordach, laut wie Gewehrschüsse. Dann wurde daraus ein Prasseln.
Regen hatte viele Stimmen. Um Lukas herum begann es, zu drippeln, zu platzen, zu rascheln. Andächtig lauschte er dem Regenkonzert. Er hörte, wie das Wasser in der kaputten Rinne rauschte, wie es auf die Blätter der Pappel und den ausgedorrten Boden traf. Es spritzte in den Pfützen, plätscherte auf das Trampolin und trommelte auf dem Vordach.
Lukas atmete den violetten Duft des Regens, der jetzt in Strömen vom Dach rann. Er lauschte darauf, wie die Erde trank, wie sie das Wasser gierig einsog. Als mehrere Autos durch die Pfützen gefahren kamen, hörte er Jimis Mustang heraus und er dachte wieder an Sim, was er für sie fühlte. Er musste mit Jimi reden, am besten gleich. Sein Herz schlug schneller, als der Mustang vor der kleinen Veranda hielt. Eine Autotür klappte und Jimis Schritte kamen die Holzstufen herauf.
Schweigend ließ sich Jimi neben ihm auf die alte Autobank fallen. Lukas hörte das Klicken des Feuerzeugs und kurz darauf hüllte ihn eine Marihuanawolke ein. Während er noch überlegte, wie er das Thema anschneiden sollte, begann Jimi von selbst damit.
»Das bunte Vögelchen heil nach Hause gebracht?«
»Ja.«
»Du magst sie.«
»So ist es.« Er hörte, wie Jimi an seinem Joint zog, den Rauch in den Lungen hielt und dann ausatmete.
»Wieso ausgerechnet sie, Luke? Bald ist sie wieder weg und dir bleibt nichts, als ihr nachzutrauern. Das hast du doch alles schon mal durch.«
Dass Jimi ihm die Sache mit Nima unter die Nase reiben würde, hätte er voraussehen müssen. Seine Worte sollten vermutlich Besorgnis ausdrücken, doch der aggressive Unterton war Lukas nicht entgangen.
»Machst du dir Sorgen um mein Seelenheil oder versuchst du, mir zu sagen, dass Sim dich aufregender
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