Julischatten
zuckten grelle Blitze. Die ersten Tropfen knallten auf die Windschutzscheibe wie Gewehrschüsse. Tabea schrie auf und Sim zog erschrocken den Kopf ein. Eine ungeheure Windböe erfasste den Wagen, rüttelte und schüttelte ihn und Jimi hatte Mühe, den Blazer auf der Straße zu halten.
Tabea war von der Rückbank aus nicht mehr zu sehen, so tief war sie in ihren Sitz gerutscht. Angstvoll packte Sim nach Lukas’ Hand und er hielt sie fest.
»Ich hab gesagt, damit ist nicht zu spaßen«, bemerkte er.
Vom Beifahrersitz kam ein leises Wimmern.
»Klappe«, fauchte Jimi und trat aufs Gas, als könne er der Urgewalt davonfahren. Inzwischen war es stockdunkel und der Regen so stark, dass die Scheibenwischer die Wassermassen kaum noch bewältigen konnten. Jimi hatte offensichtlich Schwierigkeiten, die Schlaglöcher auf der Straße auszumachen, und nachdem er zweimal in eines hineingekracht war, fuhr er an den Straßenrand und stellte die Warnblinkanlage ein.
Wasser wie aus Eimern floss über das Dach des Blazers und strömte über die Scheiben. Der Sturm rüttelte und zerrte an den Seiten des Wagens und mehr als einmal befürchtete Sim, dass sie umkippen und im Straßengraben landen würden. Von Tabea war nichts mehr zu hören, sie schien in eine Art Starre gefallen zu sein.
Lukas begann, leise zu singen. Es war ein ruhiges Lied, als wolle er den Sturm besänftigen mit seinem Gesang. Und irgendwie gelang ihm das auch. Nach zehn Minuten wurde der Wind schwächer und der Regen ließ nach. Sim entzog Lukas ihre Hand und merkte, dass er sie nur ungern freigab. Jimi startete den Wagen und fuhr sie zurück zum Horse Hill.
Tabeas Zelt stand nicht mehr auf dem Hügel, der Sturm hatte es aus der Verankerung gerissen und in die Prärie geweht. Jo bemerkte, dass es unklug gewesen war, das Zelt auf der Hügelkuppe aufzustellen, und bot ihr an, die Nacht im Trailer zu schlafen – selbstverständlich ohne dafür bezahlen zu müssen. Wortlos drückte Tabea Jimi die verabredeten zweihundert Dollar in die Hand und machte sich daran, auf den umliegenden Hügeln nach ihren Habseligkeiten zu suchen.
Sim lag im Dunkeln in ihrem Bett und dachte an Jimi. Seit der Tour durch die Badlands sah sie ihn mit anderen Augen. Er war keineswegs nur der Weiberheld, als den ihre Tante ihn hingestellt hatte. Genau wie Lukas machte er sich Gedanken über das Reservat und wie seine Leute lebten. Nur auf andere Weise.
Lukas wollte Medizinmann werden und mit seinen Liedern ein ganzes Volk heilen. Jimi war ein Kämpfer. Es hatte ihr imponiert, mit welchem Eifer er zu ihr gesprochen hatte. Jimi Little Wolf hatte sie ernst genommen. Kein Foppen und Sticheln diesmal. Nur leidenschaftliche Worte.
Er war den Abstecher zum Sheep Mountain gefahren, um ihr diesen unglaublichen Ort zu zeigen. Dafür hatte er Tabeas Groll in Kauf genommen und riskiert, dass er sein Geld nicht bekam. Sim hatte das Gefühl, Jimis Respekt gewonnen zu haben, und das bedeutete ihr viel.
Aber war das tatsächlich alles, was sie sich von ihm erhoffte? Seinen Respekt? Sie gestand sich ein, dass das nicht stimmte. Sim wünschte sich, Jimi würde sie so sehen, wie Lukas sie offenbar sah: als jemanden, in den man sich verlieben konnte.
Die Mauer, die sie um sich herum gebaut hatte, begann zu bröckeln. Sie war dabei, sich zu verlieben – nur, in wen? Jimi oder Lukas? Rebell oder Heiler? Früher oder später würde sie sich entscheiden müssen.
18. Kapitel
Nachdem Tabea am Freitagmorgen abgereist war, bezog Sim das Bett im Trailer neu und schmückte die Zimmer mit ein paar alten KILI-Radio-Plakaten, die sie im chaotischen Büro ihrer Tante gefunden hatte. Die bunten Plakate zauberten ein wenig Farbe an die weiß gestrichenen Wände.
Sie lief mit Juniper über die Hügel, pflückte wilden Beifuß und andere duftende Kräuter, band sie zu Bündeln und hängte sie in die Fenster. Auf den Tisch stellte sie ein Marmeladenglas mit Wiesenblumen und Gräsern. Nachdem Sim noch den Kühlschrank mit verschiedenen Getränken aufgefüllt hatte, war alles bereit für die Familie aus den Niederlanden, die im Laufe des Sonntags eintreffen sollte. Die Tochter sollte in Sims Alter sein und Sim war neugierig auf das Mädchen – ein bisschen Gesellschaft am Horse Hill war vielleicht gar nicht so schlecht.
Am Nachmittag erschien Lukas allein auf seinem Schecken, um Jo beim Reitunterricht zu helfen, und Sim brauchte eine Weile, um ihre Enttäuschung über Jimis Ausbleiben zu verdauen. Da Almonas
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