Julischatten
Der Fernseher lief. Auf der durchgesessenen Couch saß Roxie und starrte kaugummikauend auf den flimmernden Bildschirm. Neben ihr lag ein Kleinkind und schlief. Überall auf dem schmuddeligen Boden waren Kleidungsstücke und Spielzeug verstreut.
Lukas, nur in Jeans und Turnschuhen, kam mit nassen Haaren aus dem Bad und verbreitete Kokosduft. Seine Haut war tiefdunkel und er hatte einen schönen Körper. Sim betrachtete ihn unverfroren, was Jimi nicht entging.
»He, Amigo, du bist ja immer noch nicht fertig«, sagte er gereizt. »Außerdem riechst du wie ein Bounty.« Jimi rümpfte die Nase.
Lukas zuckte zusammen. »Ihr seid schon wieder da?«
»Sind wir. Zieh dir was an und auf geht’s.«
»Vor neun fangen die sowieso nicht an«, brummte Lukas und verschwand in einem der Zimmer. Jimi folgte ihm, und da Roxie keine Anstalten machte, Sim zu beachten, ging Sim ihnen hinterher.
Der Raum, den die beiden sich teilten, war nicht groß, nur rund vier mal vier Meter. Zwei Betten standen darin, unter dem Fenster ein wackliger Tisch mit zwei Stühlen. Es gab einen zweitürigen Holzschrank und einen verschließbaren Spind. Letzterer gehörte offensichtlich Jimi, denn er schloss ihn auf und holte ein Päckchen Tabak heraus. Lukas kramte nervös im Kleiderschrank.
»Na, weißt du mal wieder nicht, was du anziehen sollst?«, spottete Jimi.
»Das Blackfire-T-Shirt, ich kann es nicht finden.«
Jimi griff zielgerichtet nach dem einzigen schwarzen T-Shirt in dem sauberen Stapel und reichte es Lukas, der es überstreifte. Aber auch jetzt, nachdem er angezogen war, schwand seine Nervosität nicht.
Sim ließ sich von Jimi das Badezimmer zeigen, und als sie es betrat, verschlug es ihr für einen Moment den Atem. Die Luft war muffig und feucht. In den Ecken blühte schwarzer Schimmel. Sie versuchte, das Fenster zu öffnen, aber entweder war sie zu dämlich dafür oder es ließ sich einfach nicht bewegen. Waschbecken und Badewanne waren von einem schlierigen gelblichen Seifenfilm überzogen.
Sie pinkelte, ohne sich auf die Brille zu setzen, wusch ihre Hände und trocknete sie an ihrem Kleid ab, weil sie das verkrustete Handtuch nicht benutzen wollte.
»Adios Roxie«, sagte Jimi, als sie den Trailer verließen. Aber das Mädchen reagierte gar nicht, sie war in einer anderen Welt.
Ganz im Gegensatz zu ihrem Zuhause waren Jimi und Lukas an diesem Abend wieder wie aus dem Ei gepellt. Saubere Jeans, frische T-Shirts. Ihre Haare glänzten. Die Luft im Mustang war eine verwegene Mischung aus GAP Heaven, Kokosduft und dem aromatischen Kraut in Jimis Zigaretten.
In Pine Ridge fuhren sie zu Subway und aßen jeder ein Sandwich. Gesättigt ging es weiter zum Festplatz, der nur eine halbe Meile entfernt lag.
Lukas sollte recht behalten. Als sie zur Bühne kamen, war die Band noch beim Aufbauen. Blackfire bestand aus zwei Brüdern, Klee und Clay Benally, und ihrer Schwester Jeneda. Vor zwei Jahren hatten sie Konzerte in ganz Deutschland gegeben und Sim hatte mit Nadja eines davon besucht. Sie hatten getanzt und den Abend genossen. Klee und Clay waren gut aussehende Jungs, nur leider doppelt so alt wie sie.
Sim setzte sich mit Lukas an einen Tisch neben einer Imbissbude und Jimi versorgte sie mit Wasser und Cola. Ab und zu erklangen vielversprechende Gitarrenriffs von der Bühne.
Sim sah sich um. Die Stammespolizei war zahlreich vertreten, um die Verbote zu kontrollieren, die ihnen überall von Plakaten und Schildern entgegensprangen. No drugs, no guns, no alcohol. Das Konzert fand im Rahmen einer Antidrogenkampagne statt. Sie würde den ganzen Abend wieder nur Wasser oder Cola zu trinken bekommen und kam sich langsam vor wie eine Zwölfjährige.
Als Klee Benallys Stimme über den Platz schallte, liefen sie zusammen zur Bühne. Das Statement der Benally-Geschwister war kurz und prägnant: Gebt den Drogen keine Macht über euer Leben, Meth zerstört Körper und Geist und macht Zombies aus euch. Ihr könnt euren Weltschmerz und eure Gefühle wegdröhnen, ändern tut das nichts.
Dann sang Klee, ganz ohne Instrumente.
The quiet lonely lesson
Bitter taste bites
The question
There’s a hole in
The night
And nothing inside
Die einsetzenden Bässe donnerten wie Fäuste in Sims Magen. Gitarrenklänge, unterlegt von Trommeln, hallten über den Platz, auf dem sich inzwischen eine große Anzahl Jugendliche versammelt hatte.
Die Zuhörer standen jetzt näher bei der Bühne, immer in kleinen Grüppchen, und trotz der Lautstärke wurde
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