Julischatten
Enkeltochter krank war, musste Jo den Laden hüten, während Sim und Lukas die Pferdetherapie übernahmen.
Randy war ebenso enttäuscht wie Sim, dass sein Held Jimi nicht gekommen war, aber Lukas schaffte es, den Jungen aus der Reserve zu locken. Mit den Mädchen war es schwieriger, denn ohne Jo waren sie noch scheuer und wortkarger als sonst. Aber die beiden Hobbytherapeuten brachten die knapp drei Stunden mit den Kindern über die Bühne, ohne dass eines vom Pferd fiel oder getreten wurde – oder anfing zu heulen.
Die Geduld, die Lukas im Umgang mit den Kindern und den Pferden an den Tag legte, ließ Sims Respekt für ihn steigen. Und abgesehen davon hatte er sie alle mehr als einmal zum Lachen gebracht an diesem Nachmittag, der heiß, staubig und schrecklich anstrengend gewesen war.
Die kleinen Reiter wurden wieder abgeholt, und bevor Lukas in den Laden ging, um sich von Jo zu verabschieden, erzählte er Sim von einem Konzert, das am Samstagabend in Pine Ridge stattfinden sollte.
»Wäre das was für dich?«
»Ein richtiges Konzert?«, fragte Sim. »Oder ein Konzert wie beim Pferderennen?«
Lukas lächelte. »Blackfire spielt«, sagte er. »Ist eine Punkband aus Arizona. Navajos. Die machen wirklich coole Musik. Beim Pferderennen, das war eine Hungerleidertruppe aus dem Res.«
Sim besaß eine CD von Blackfire, ihre Tante hatte sie ihr geschenkt. Die Musik war definitiv cool. »Ich bin dabei«, sagte sie. »Aber ich muss erst den Boss fragen.«
»Überlass das Reden mir, okay?«
»Okay.«
Jos Begeisterung hielt sich in Grenzen. »Irgendwie gefällt mir der Gedanke nicht«, sagte sie, eine tiefe Falte auf der Stirn. »Pine Ridge ist ein heißes Pflaster und solche Konzerte enden oft in Schlägereien.«
Sim warf ihrer Tante einen flehenden Blick zu, hielt jedoch wie ausgemacht den Mund und überließ Lukas das Feld.
»Das ist ein Death-to-Meth- Konzert«, sagte er. »Kein Alkohol, keine Drogen und keine Schlägereien. Hast du nicht Lust mitzukommen, Jo?«
Hatte Sim sich verhört oder hatte er das wirklich gesagt? Ihre Tante wurde rot, was Lukas leider nicht sehen konnte, aber er grinste trotzdem frech, als wüsste er es.
»Na gut«, sagte sie und Sim war kurz davor, einen Herzanfall zu bekommen. Sie wollte um keinen Preis in Begleitung ihrer Tante auf dieses Konzert gehen. »Aber du hast die Verantwortung für Simona, Luke. Du, nicht Jimi.«
»Das geht in Ordnung«, sagte er.
Sim verzog keine Miene, doch innerlich jubelte sie.
Diesmal bog Jimis Mustang bereits fünfzehn Minuten vor der verabredeten Zeit vor das Blockhaus. Sim stand im Bad vor dem Spiegel und versuchte, einen sauberen Lidstrich zu ziehen, scheiterte jedoch kläglich, nachdem Jo von unten »Sie sind da« gerufen hatte.
Die letzten beiden Stunden hatte Sim im Zimmer ihrer Tante vor dem großen Spiegel verbracht. Einerseits hatte sie wenig Lust, auf dem Konzert wieder von allen wie ein Alien angestarrt zu werden, andererseits wollte sie auch nicht in Klamotten aus der Kleiderkiste losziehen, die inzwischen ihr Outfit bestimmten. Sim wollte sie selbst sein, sie wollte sexy sein, sie wollte gefallen. Aber was gefiel Jimi Little Wolf an einem Mädchen?
Nach langem Überlegen hatte sie das bunte Zipfelkleid gewählt und ihre blickdichte rote Strumpfhose, obwohl sie ja nun von den Storchenbeinen wusste. Ihre Haare waren gestylt (nur ein wenig) und leuchteten in einem frischen Rot. Sie hatte sie extra für den Abend neu gefärbt.
Sie schnappte ihre Umhängetasche, verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss von ihrer Tante und verließ das Haus durch die Ladentür.
Im Auto saß nur Jimi. »Kommt Lukas nicht mit?«, fragte sie, völlig aus dem Konzept gebracht.
»Er musste noch unter die Dusche und ich wollte nicht riskieren, wieder zu spät zu kommen.« Jimi warf ihr einen spöttischen Seitenblick zu.
Sim wurde rot, aber er sah schon wieder nach vorn.
Diesmal bekam sie Gelegenheit, Bekanntschaft mit dem Innenleben des Trailers zu machen, den Jimi und Lukas und die beiden Mädchen bewohnten. Zum ersten Mal, seit sie im Reservat war, betrat Sim ein fremdes Zuhause. Das abgenutzte Linoleum in der Küche hatte Löcher und klebte. Auf allen Flächen standen benutztes Geschirr mit angebackenen Essensresten, übrig gebliebene Fastfood-Schachteln und leere Getränkedosen. Das Wohnzimmer war in Halbdunkel getaucht, obwohl draußen die Sonne schien. Die blinden, mit Fliegendreck gesprenkelten Fensterscheiben ließen kaum Tageslicht herein.
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