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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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immer ausgewaschener wurde und schließlich auf ein Hochplateau führte. Nur filziges gelbes Gras und Himmel in jeder Richtung. Eine gewaltige Leere, ein blaues Nichts.
    Warum brachte Jimi sie hierher? Der Weg wurde immer beschwerlicher, die Rinnen tiefer. Sim klammerte sich am Griff über der Tür fest. Als Tabeas Leihwagen sich wieder einmal in bedrohlicher Schieflage befand, begann die Deutsche zu schimpfen.
    »Das ist ein Leihwagen«, erinnerte sie Jimi. »Damit darf man nicht auf unbefestigten Straßen fahren. Wenn was passiert, bekomme ich Ärger.«
    »Die meisten Straßen im Res sind Schotterpisten«, sagte er ungerührt.
    »Aber das ist keine Schotterpiste, das ist ein… eine…« Sie fand kein treffendes Wort und ruderte stattdessen mit den Armen.
    Lukas’ Mundwinkel zuckten spöttisch.
    »Wir sind ja gleich da«, brummte Jimi ungehalten. »Sie waren doch scharf auf spirituelle Plätze. Zu denen führen nun mal keine glatte Asphaltstraßen.«
    Tabea schluckte ihren Protest herunter. Wenige Minuten später hielt Jimi an und sie stiegen aus. Auf der Hochebene wehte ein leichter Wind und die Luft war angenehm. Lukas im Schlepptau, lief Jimi zum Rand des Plateaus und Sim folgte den beiden.
    »Wahnsinn.« Unter ihr erstreckte sich ein Wirrwarr aus scharfen Gebirgskämmen und steilwandigen Schluchten. Im weichen Gestein wechselten sich farbige Schichten ab – violett, braun, gelb. Auf dem Weg zum Horizont verloren die Felsen an Höhe, sahen aus wie spitze Drachenzähne. Ein ausgetrockneter Fluss mäandrierte um die Felsen und kleinen Tafelberge und die bizarre Landschaft endete in einer weiten, endlos scheinenden grünen Ebene.
    Am Horizont zogen dunkle Wolken herauf und die bleichen Sandformationen reflektierten das Licht der Abendsonne, sodass sie vor dem dunklen Hintergrund fast weiß leuchteten. Jetzt wusste Sim, was Jimi mit dem richtigen Zeitpunkt gemeint hatte.
    Sie sah ihn an und ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. Lukas’ rechte Hand lag immer noch auf der Schulter seines Freundes und nun schob er ihn sanft vorwärts. Jimi sah sich suchend nach seiner Auftraggeberin um. Tabea saß weit weg von ihnen am Rand des Plateaus im Schneidersitz und schien zu meditieren.
    »Lassen wir sie eine Weile alleine, sie macht vermutlich gerade eine wichtige spirituelle Erfahrung. Wakan Tanka is watching you«, sagte er mit verstellter Stimme und sie lachten alle drei.
    Er hat recht, dachte Sim. Vielleicht kam Tabea runter von ihrem Frust, wenn sie eine Weile allein blieb, um mit wem auch immer zu kommunizieren.
    Sie liefen einen schmalen Pfad ein Stück ins Tal hinunter, tauchten ein in das Labyrinth aus turmhohen Spitzen und zerklüfteten Kegeln. Einer nach dem anderen ließen sie sich auf einer Felsplatte nieder und blickten in die Ferne, wo die Dunkelheit lebendig wurde. Natürlich konnten nur Sim und Jimi in die Ferne blicken, aber es schien so, als würde Lukas es ebenfalls tun.
    Jimi drehte sich eine Zigarette, und nachdem er sie angezündet hatte, rutschte er näher an Sim heran, um sie einen Zug nehmen zu lassen. Sie hatte die Beine an die Brust gezogen und ihre Arme darumgeschlungen. Schweigend beobachtete sie Lukas. Er war derjenige von ihnen, der sich am weitesten nach vorn gewagt hatte – die Beine im Schneidersitz gekreuzt, saß er direkt am Rand des Abgrunds.
    Lukas sah aus, als würde er irgendetwas vor sich hin murmeln, doch Sim begriff, dass er nicht mit ihnen redete. Die Geister der Vergangenheit schienen sich wieder einmal um ihn geschart zu haben und offenbar hatte er die Außenwelt völlig ausgeblendet.
    Sie legte ihren Kopf auf die Knie. »Er ist mir unheimlich, wenn er so ist.«
    »Mir auch«, erwiderte Jimi im Flüsterton. »Wahrscheinlich sieht er wieder irgendwelche Gespenster. Unter uns liegt ein alter Geistertanzplatz. Unsere Leute trafen sich an geheimen Plätzen und tanzten, in der Hoffnung, dass ihre Toten und die Büffel zurückkommen und die Weißen dafür von dieser Erde verschwinden würden. Sie trugen bemalte Lederhemden, die sie vor den Kugeln der Weißen schützen sollten.«
    »Es hat nicht funktioniert.« Das war keine Frage.
    »Nein. Aber die Weißen hatten Angst vor den Geistertänzern. So große Angst, dass sie die Tänze unter Todesstrafe verboten. Das Tanzen hat uns stark gemacht. Aber dann haben sie Sitting Bull erschossen, oben im Norden.« Er nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch in den Himmel. »Am Wounded Knee war alles vorbei. Die geheimen Zeichen auf

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