Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
stand fast ehrfürchtig vor der dreischiffigen Emporenbasilika aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, deren Dächer und Turmspitze mit Schnee bedeckt waren. Das Rot der Pfeiler und Fenster war die einzige Farbe inmitten der weißen Welt. Julius wusste genau, wo er den Mann jetzt finden würde, den er suchte. In der Kirche betend. Vorn am Altar. Julius setzte sich in die hinterste Reihe und wartete. Die unordentlich am Eingang gestapelten Broschüren würde er beim Rausgehen sortieren müssen.
Es roch nach Kirche.
Diesen Duft verband er untrennbar mit dem Mann am Altar. Winand Lütgens zählte weit über achtzig Jahre, sein Körper war zusammengesunken wie eine baufällige Scheune, trotzdem stand er noch regelmäßig auf der Kanzel. Zwar war nun ein jüngerer Priester für die Gemeinde zuständig, aber dieser hatte noch andere Aufgaben, so dass Lütgens, mehr als den meisten lieb, war seiner bevorzugten Tätigkeit nachkam – dem Dozieren. Er nannte es Predigen. Lütgens war ein wandelndes Lexikon. Oder besser drei. Eines der Bibel, eines der Gemeinde und eines der Kirchengeschichte der Ahr.
Und das wollte Julius nun aufschlagen.
Der Geistliche beendete sein Gebet und drehte sich um.
»Julius Eichendorff!« Lütgens streckte ihm beide Hände entgegen. »Ich habe dich lange nicht gesehen. Man sagt, du gehst jetzt nach Bad Neuenahr in die Kirche?« Der Priester holte fast nach jedem Wort Luft und ließ keinen Buchstaben unbetont. Er sprach wie in Zeitlupe.
»Ja. Es passt zeitlich dort besser, Hochwürden.« Lütgens bestand auf die förmliche Anrede. Schon zu Julius’ Messdienerzeiten.
»Belüg mich nicht!« Er hob warnend den Zeigefinger. »Die Messen sind fast immer zur gleichen Zeit. Warum kommst du nicht nach Heimersheim? Gefällt es dir bei uns nicht mehr?«
»Ich gehe mit Bad Neuenahrer Freunden gemeinsam in die Messe.« Es fühlte sich schlecht an, in der Kirche zu lügen. Aber Lütgens musste nicht erfahren, dass es seine schrecklich langweiligen Predigten waren, die Julius fortgetrieben hatten.
»Bring deine Freunde doch mal mit zu uns, Julius! Es wird ihnen hier bestimmt gefallen. Die Kirche in Bad Neuenahr ist doch nicht schön. Du könntest dann auch wieder auf unserer Orgel spielen. Du hast früher immer so schön gespielt.«
Julius verschwieg seine Meinung dazu. »Ich habe ein Anliegen.«
»Möchtest du dein Herz erleichtern und beichten? Dann muss ich mich aber erst vorbereiten.«
»Nein. Es geht um etwas anderes. Können wir uns setzen?«
»Setzen wir uns.«
Sie nahmen in einer der Bankreihen Platz.
»Es geht um die jüngsten Mordfälle.«
Lütgens nickte wissend. »Ich habe davon gehört. Du meinst Klaus Grad und Inge Bäder. Es ist sehr traurig, wenn Menschen so unerwartet aus dem Leben gerissen werden. Aber ich weiß nicht, wie ich dir da helfen kann. Die beiden gehörten nicht zu meiner Gemeinde.«
»Es geht nicht direkt um die zwei.«
»Ich weiß von deinem Hobby als kulinarischer Detektiv, Julius Eichendorff.« Lütgens tätschelte ihm die Wange. »Du hast als Kind bei Schnitzeljagden schon immer gern Rätsel gelöst. Und gern gegessen.«
Wie nett, dass er ihn daran erinnerte. »Es geht um etwas, das vielleicht einmal der Kirche gehört hat. Ich will es Ihnen erläutern.«
»Nur zu. Für Mitglieder meiner Gemeinde habe ich immer Zeit.«
Julius tat so, als habe er den Wink mit dem Zaunpfahl nicht mitbekommen. »In der Kapelle des Regierungsbunkers befindet sich ein versteckter Tresor. Aus ihm wurde etwas gestohlen.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Hier die weiteren Informationen. Fakt 1: Der Tresor wurde höchstwahrscheinlich von Klaus Grad kurz nach dem Krieg eingebaut. Er hatte als Elektriker Zugang zur Anlage. Fakt 2: Was immer im Tresor war, es war aus Gold oder zumindest vergoldet. Fakt 3: Klaus Grad kennt sich nur mit Kirchenkunst aus, vielleicht handelte es sich beim Tresorinhalt also um solche.«
Antoine Carême hatte ihn darauf gebracht. »Manchmal muss man viel tiefer buddeln, um das zu finden, was man sucht«, hatte er gesagt. Und Julius war aufgegangen, dass die Lösung in der Vergangenheit liegen musste. Es hatte plötzlich alles zusammengepasst.
»Das ist alles gesichert?«, fragte Lütgens.
»Leider nein, Hochwürden. Trotzdem weiter: Es war bestimmt ein großer Aufwand, den Tresor – ohne dabei aufzufallen – in die Kapellenwand einzubauen. Grad muss einen guten Grund gehabt haben, dieses Risiko einzugehen. Und warum sollte er es machen, wenn nicht, um etwas
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