Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
Lütgens zu reden, ihm zu erklären, dass der Mörder noch einmal zuschlagen könnte, wenn er schwieg. Er legte ihr nahe, dick aufzutragen, zu behaupten, dass sie absolut nichts in der Hand hätte. Er sagte ihr nichts von der Monstranz.
Versprochen war versprochen.
Lütgens würde nicht lange standhalten können, das wusste Julius. Nicht bei einer so charmanten Frau. Und nicht, wenn sie ein so schlagkräftiges Argument in der Hand hätte. Das Versprechen, dass Lütgens »es« sehen würde – was auch immer es war, um das es hier ging. Anna hatte sich erst nach Protesten zu diesem Deal mit vielen Unbekannten bereit erklärt.
Zu Hause fischte Julius die Post ohne hinzuschauen aus dem Briefkasten. Erst drinnen bemerkte er, dass mit dem »Culinary Chronicle« seine jährliche Lieblingspost eingetroffen war. Er konnte sich nicht darüber freuen. Auch die Rhein-Ahr-Rundschau betrachtete er nur flüchtig, nichts konnte seine Aufmerksamkeit längere Zeit binden. Weder die Schlagzeile »Eiszeit im Ahrtal«, der Bericht über die Bildhauerin, die vor kurzem eine Büste von ihm gefertigt hatte, auf der er wie ein griechischer Philosoph aussah, noch die Meldung, dass die Polizei bekannt gab, die erste Mordwaffe sei eine antike Pistole gewesen. Als Quelle war die Frau genannt, auf deren Anruf er nun wartete. Wahrscheinlich wollte sie dem Mörder zeigen, dass sie ihm auf der Spur war. Oder besser: es ihm vorgaukeln.
Das Handy blieb stumm.
Herr Bimmel kam an und setzte sich auf die Zeitung. Eindringlingen jedweder Art, ob mit vier Beinen oder Druckerfarbe, musste erst einmal gezeigt werden, wer im Haus die Krallen anhatte.
War Lütgens vielleicht doch hartherziger als gedacht?
Julius nahm den »Culinary Chronicle« in die Hand.
Das Handy klingelte.
Wie Julius erst jetzt bemerkte, hatte er es auf die Zeitung gelegt, auf die sich wiederum Herr Bimmel gesetzt hatte. Der Kater sprang maunzend auf. Ihm war nicht geheuer, was sich da gerade unter seinem Hinterteil getan hatte.
»Von Reuschenberg«, meldete sich Julius, um seinen Irrtum sofort festzustellen. »Blödsinn, Eichendorff.«
»Von Reuschenberg ist natürlich überhaupt kein Blödsinn, sondern ein ausgenommen schöner deutscher Name«, sagte eine gut gelaunte Stimme. Sie klingt fröhlich, dachte Julius. Die Predigt musste gut gewesen sein.
»Und?«
»Das ist ja der Wahnsinn !«
»Nicht wahr?«
»Ich hab sofort Interpol kontaktieren lassen, die sollen sich auf den internationalen Kunstmärkten umtun.«
»Dein erster Anruf hat also nicht mir gegolten«, sagte Julius gespielt vorwurfsvoll. Wie ungezwungen sie miteinander bereits umgingen. Wie einfach es ging.
»Wie bist du nur darauf gekommen?«
Er erzählte es und erntete Applaus.
»Jetzt müsst ihr rausfinden, ob Grad zu dem Zeitpunkt des Bombenangriffs in Adenau war«, sagte Julius.
»Da sind wir natürlich schon dran. Hoffentlich war er es! Die Spur ist einfach zu schön, um nicht wahr zu sein. Was denkst du noch darüber? Dein Gehirn hatte ja ein wenig Vorsprung, um nachzusinnen.«
»Eine andere denkbare Variante ist, dass Grad die Monstranz gar nicht selbst gestohlen hat, sondern jemand anders, der ihn dann bat, sie sicher aufzubewahren. Wir müssen also überprüfen, ob sich einer der Verdächtigen zum fraglichen Zeitpunkt in Adenau aufgehalten hat.«
»Macht Sinn.«
»Und, hast du deine Zeit auch sinnvoll genutzt und irgendwas rausgefunden?« Diese Frage fiel zweifellos in die Sparte Necken, dachte Julius. Das machte Spaß.
»Nein. Mir ist nur aufgefallen, dass ich vergessen habe, dir was zu erzählen. Ist im Stress untergegangen. Wir haben mittlerweile die Wohnung von Grads Tochter in Remagen untersucht. Was wir dort gefunden haben, hat uns nicht sehr aufgemuntert.«
»Sie ist doch nicht etwa …«
»Nein.« Anna unterbrach ihn. »Zumindest nicht in ihrer Wohnung. Dort deutet alles auf eine plötzliche Abreise hin. Eine sehr plötzliche. Wir haben verschimmelte Essensreste gefunden. Und ich rede hier nicht von ein paar alten Brötchen im Mülleimer. Ich rede von einer halb gegessenen Thunfischpizza auf dem Wohnzimmertisch, einem leeren Glas mit Kölschrückständen und einem Nachtisch, den ich aus meinem Gedächtnis streichen möchte. Die Rollläden waren nicht runtergelassen, zwei Fenster standen auf kipp, der Fernseher war nicht ausgesteckt. Noch nicht einmal die Wohnungstür war ordentlich abgeschlossen.«
»Ein sehr plötzlicher Aufbruch.«
»Der nach allem, was wir wissen, nicht zu ihr
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