Julius Lawhead 2 - Flammenmond
ganze Nacht hindurch gebrannt hatte, war fort. Nicht mehr als ein schwarzes Oval aus Asche war geblieben, das vom Wind und zahlreichen Füßen zerstreut wurde. Amber konnte nicht aufhören sich zu wundern, wo in diesem einsamen Landstrich auf einmal all die Menschen herkamen. Die Auffahrt und der Platz vor Red Deers Haus waren vollständig zugeparkt. Klapprige Fahrzeuge, staubig und verbeult, standen dicht an dicht. Es war unwirklich. Überall waren Kinder, zahllose Hunde tobten umher und füllten die Wüste mit Fröhlichkeit.
Mindestens zwei Dutzend Erwachsene berieten mit Red Deer über das Ritual, mit dem sie Brandons Seele heilen wollten. Seine Tochter Cloud war nicht minder beschäftigt. Umgeben von Frauen jedes Alters plante sie, wie viel Essen und Unterkünfte für die Teilnehmer nötig waren. Amber hatte sich eine Weile dazugesetzt, doch sie konnte kaum helfen und meist wurden die Diskussionen in Na Diné, der Sprache der Navajo, geführt.
Stunden vergingen und die Versammlung löste sich nach und nach auf. Amber half Cloud die Unmengen schmutzigen Geschirrs wegzuspülen, die die Gäste hinterlassen hatten. Als sie die letzte einer schier endlosen Reihe von Schüsseln abtrocknete, trat Red Deer zu ihr. Er lächelte zufrieden.
»Wird der Tanz stattfinden können?«, fragte Amber.
»Ja, und wir haben viele Helfer. Es wird gut.«
»Brandon freut das sicher.«
»Amber? Würdest du mir wohl die Silbermesser zeigen, die Julius besitzt? Er sagt, du wüsstest, wo sie aufbewahrt werden.«
Amber überlegte kurz, was sie tun sollte. Julius schien dem Alten zu vertrauen. Er hatte ihr zwar nicht erzählt, dass der Indianer danach fragen würde, aber offensichtlich hatten sie miteinander über Julius’ Waffen gesprochen. Dann schien es in Ordnung.
Amber trocknete sich die Finger ab und hängte das Handtuch zum Trocknen über einen Busch.
»Ich bringe die Waffen raus, einen Moment.«
Als Amber den Airstream wieder verließ, saßen Red Deer und seine Tochter im Schatten des mageren Baumes neben dem Haus und warteten.
Amber hob den schweren Koffer auf einen Tisch und klappte ihn auf. Bevor sie Julius kannte, hatte sie nie derartige Waffen gesehen. Es waren zwölf Klingen, die in der Größe zwischen kleinen Messern und richtigen Schwertern variierten. Für Amber sahen sie aus wie eine Mischung aus Samuraischwertern und Waffen, die in ihrer Phantasie Elfen tragen würden. Das lag vor allem an den Rankenmustern auf den Klingen. Julius hatte sie in den zwanziger Jahren in Frankreich anfertigen lassen, und die Zeit des Jugendstil hatte ihre Spuren als schwarze Linien in das Metall geätzt.
»So etwas habe ich noch nicht gesehen«, staunte Red Deer.
»Julius’ Arbeitsgeräte«, erwiderte Amber bitter.
Jetzt, im Sonnenlicht, glänzten die Klingen jungfräulich und neu, als hätten sie niemals Blut gekostet, doch das war eine Lüge. Red Deer wog drei kleine Messer in der Hand und entschied sich schließlich für das mit der schmalsten Klinge.
»Dieses werde ich mir ausborgen.«
Als er das sagte, verstand Amber erst, was das alles sollte. Es gab nur einen Grund, weshalb der Indianer ausgerechnet einen Silberdolch brauchte. Er wollte einen Vampir verletzen und zwar so, dass er nicht schnell heilen würde.
»Was hast du damit vor?«
»Ich fasse es nicht!«, schrie Amber und krallte ihre Hände um das Lenkrad. Sie steuerte das Gespann mit siebzig Meilen pro Stunde die Straße hinunter nach Cameron. Der Himmel war glühend rot in der Dämmerung. Sie war spät dran. Julius war bereits wach. »Da überlebt er diese ganze Quälerei und dann fällt ihm nichts Besseres ein, als sich ein paar Haken durch die Brust zu ziehen und sich an einem Baum aufzuhängen? Man sollte fast meinen, die Vergewaltigung hätte ihm nicht gereicht!«
»Amber!«
»Das ist doch totaler Schwachsinn! Verbiete es ihm, du kannst es doch!«
»Ich könnte es. Aber solche Worte ausgerechnet aus deinem Mund zu hören erstaunt mich.«
»Das hier ist etwas völlig anderes. Brandon muss vor sich selbst geschützt werden. Bringen wir ihn in L.A. zu einem Psychiater, der wird ihm helfen können.«
»Vielleicht hat er selber die richtige Therapie gefunden. Du hättest ihn heute Morgen sehen sollen!«
»Was war denn?«, fragte sie und spürte, wie ihr Zorn langsam an Kraft verlor.
»Er war wieder voller Hoffnung. Nur weil wir es nicht nachvollziehen können, sollten wir es nicht ablehnen.«
Amber drosselte das Tempo. Der Ortseingang war nicht mehr
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