Julius Lawhead 2 - Flammenmond
kleinen Bildschirm mehr zu erkennen. Sie holte noch einmal tief Luft, dann schob sie mit spitzen Fingern die Folie auseinander.
Der erwartete Gestank blieb aus. Der Tote war vergleichs weise frisch. Sein Oberkörper war unbekleidet und voller Erde. Graben sie ihn etwa erst aus, um ihn danach wieder zu verscharren? Warum? Schaudernd beugte sie sich ein Stück vor, um den Hals nach Bisswunden abzusuchen. Der Rat brauchte eindeutige Beweise, und was konnte eindeutiger sein als die charakteristischen vier Einstiche von Vampirzähnen?
Anstelle der erwarteten Bisswunde fand sie jedoch einen klaffenden Schnitt über der Halsschlagader und einen grob gehämmerten Eisenring, der sich um den Hals des Mannes krümmte.
Vor Entsetzen hätte Amber beinahe die Gaslampe umgestoßen.
Brandon! Es war Brandon.
Jetzt bemerkte sie auch die kleinen spitzen Zähne, die zwischen den verzerrten Lippen hervorlugten.
Das war keine Leiche, sondern ein Vampir, der in Tagesstarre verfallen war.
Vorsichtig schob Amber den Leichensack weiter auseinander, um das vertraute Gesicht anzuschauen. Die vormals feinen Züge des Indianers waren, wie der Rest des Körpers, dreck- und blutverschmiert. Erde haftete an der nässenden Brandwunde unter dem Eisenring und im Gesicht. Die Wimpern waren dicht verklebt, ein Auge zugeschwollen.
Amber streckte die Hand aus und berührte sanft die verhärmte Wange des Vampirs.
»Gut, dass Chris dich nicht so sieht«, flüsterte sie.
Gelächter aus dem Nebenraum ließ sie aufhorchen.
Offensichtlich wollten die Männer entgegen ihrer ersten Vermutung keine Leiche verstecken. Sie hatten Brandon aus der Erde ausgegraben und in den Sack gesteckt, aber warum?
Darauf konnte es nur eine Antwort geben: Sie wollten ihn am helllichten Tag unbemerkt fortschaffen.
Anscheinend waren die Verhandlungen zwischen Julius und Nathaniel Coe gescheitert. Nur dass Julius davon noch nichts wusste, und wenn es nach Coe ging, auch nicht rechtzeitig erfahren würde!
Amber überlegte fieberhaft, was zu tun war. Irgendwie musste es ihr gelingen, die Männer am Verschwinden zu hindern.
»Da ist er ja«, ertönte es aus dem Nebenraum, und Amber zuckte zusammen. Sie vernahm, wie die Schaufeln an die Mauer gelehnt wurden, dann erklang das Knistern eines Leichensacks.
»Nimm die Füße und zieh!«
Sie verluden noch einen zweiten Vampir. Wen, wenn nicht Darren. Offensichtlich transportierten die beiden Diener den gesamten Clan!
Amber sah Brandon ein letztes Mal an und schloss den Reißverschluss, dann steckte sie das Handy ein und wollte gerade die Gaslampe an ihren Platz zurückstellen, da setzten sich die Männer auch schon mit dem zweiten Leichensack in Bewegung. Es war zu spät. Sie würde es nicht mehr zurück in die Kammer schaffen, ohne bemerkt zu werden.
»Verdammt«, fluchte sie tonlos und sah sich hektisch um. Es blieb nur ein Fluchtweg, die Treppe hinauf ins Erdgeschoss. Amber lief los, stellte die Lampe an ihren alten Platz und stürmte die Stufen hinauf. Ihre nackten Füße waren auf den abgenutzten Holztritten nicht zu hören.
Die Schritte der Männer dröhnten bald hinter ihr her. Sie nahmen den gleichen Weg wie sie! Amber hastete an der Tür des Rauchsalons vorbei und verbarg sich schließlich in der Küche, die direkt neben dem kleinen Eingangsbereich lag.
Aus ihrem neuen Versteck beobachtete sie, wie die Männer den Leichensack aus der Haustür trugen und in eines der Autos verluden. Sie wiederholten ihren Gang, und Amber blieb nichts anderes übrig, als zuzuschauen, wie auch Brandon verladen wurde.
Als die Männer erneut an ihr vorbeiliefen und die Treppe in den Keller hinunterstiegen, fasste sie einen Entschluss.
Sie würde Brandon nicht diesen Monstern überlassen!
Wenn es Julius nicht geglückt war, ihn auszulösen, dann hörte Coe vielleicht auf sie. Er war altmodisch und eventuell ließ er sich von der artig vorgetragenen Bitte einer Frau eher erweichen. Es war einen Versuch wert. Irgendetwas musste sie tun! Hoffentlich fiel ihr noch etwas Besseres ein.
Natürlich hätte sie geistigen Kontakt zu Julius aufnehmen können. Aber seine Antwort kannte sie bereits. Er würde wollen, dass Amber in ihrem Versteck blieb und abwartete, bis er selbst wieder wach war. Doch dann wäre es für Brandon womöglich zu spät.
»Vergiss es, Julius«, sagte sie leise, dann lief sie geduckt durch den Flur, zur Tür hinaus über den Hof zu den Wagen. Es waren zwei umgebaute Pick-ups, wie sie offensichtlich von den meisten
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