Jung, blond, tot: Roman
morgen. Das Telefon klingelte. Ihr Vater. Er wollte wissen, ob sie gut angekommen war, sie versicherte ihm, wie gut ihr das Wochenende getan hatte, daß sie gern länger geblieben wäre. Vielleicht Weihnachten wieder. Sie machte sich ein belegtes Brot, ließ Wasser in die Wanne laufen. Stellte sich ans offene Fenster, kühle Herbstluft. Die Bäume warfen jetzt endgültig die Blätter ab, es roch nach Regen. Sie hatte das Wasser vergessen, zuckte erschrocken zusammen, lief ins Bad, stellte den Hahn ab, das Wasser stand bereits bis zum Rand. Sie zog den Stöpsel heraus, ließ etwas ablaufen. Entkleidete sich, der obligatorische Blick in den Spiegel, den Bauch eingezogen, mit einer Hand darübergestrichen, bald würde auch dieser Makel beseitigt sein. Sie stieg in die Wanne, schloß die Augen, lauschte der Musik aus dem Fernsehapparat. Sie hatte eine zweite Dose Bier neben sich stehen, trank in kleinen Schlucken. Sie wurde müde, stieg aus der Wanne, trocknete sich nur oberflächlich ab und legte sich nackt ins Bett. Sie schlief sofort ein.
Montag, 27. September, 8.00 Uhr
Das Wochenende war erstaunlich ruhig gewesen, in jeder Beziehung. Sie besprachen den Einsatzplan für den Tag, es standen noch eine ganze Reihe an Befragungen von Bekannten und Freunden der Opfer an, Julia Durant wollte sich um die Eltern und das Umfeld von Antonia Delgado kümmern und außerdem versuchen, hieb- und stichfeste Beweise zu sammeln, daß das Mädchen mindestens einmal auf Menzels Partys gewesen war, um so vielleicht Menzel doch wegen Verführung Minderjähriger dranzukriegen. Berger zeigte sich von dieser Idee alles andere als begeistert, sprach von den möglichen Konsequenzen, von Menzels Einfluß. Durant blieb unbeeindruckt. Schulz war nicht zum Dienst erschienen, er hatte sich krank gemeldet, der Schein lag vor Berger auf dem Tisch. Die Kommissarin schilderte kurz die Vermutung ihres Va 207 ters, ohne ihn dabei zu erwähnen - es könnte sich bei dem Täter um einen Deutschen handeln, der sich regelmäßig in den Staaten aufhielt. Berger überlegte, nickte dann anerkennend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und meinte: »Das würde zumindest erklären, daß der CID einen Soldaten als Täter ausschließt. Doch warum hat der Kerl dann in den Staaten damit angefangen?« »Keine Ahnung«, sagte Kullmer und fuhr sich mit einer Hand übers Kinn, »aber was, wenn der Täter doch kein Deutscher ist, sondern ein Amerikaner?« »Haben Sie nicht zugehört?« fragte Berger unwirsch. »Es ist fast unmöglich, daß er ein Amerikaner ist!« Kullmer legte die Beine auf den Tisch, sagte aufreizend langsam: »Doch, ich habe sogar sehr gut zugehört. Was, wenn er ein Amerikaner ist, der nur seit einiger Zeit in Deutschland lebt und in schöner Regelmäßigkeit seinem Heimatland einen Besuch abstattet? Ein Amerikaner in Deutschland. Vielleicht aber auch ein Amerikaner, der die deutsche Staatsangehörigkeit hat.«
»Es gibt eine Menge Amerikaner, die in Frankfurt arbeiten und mit deutschen Frauen verheiratet sind«, stimmte Julia Durant zu, die wieder einmal Kullmers aufblitzende Kombinationsgabe bewunderte.
»Es wird aber nicht leicht sein, die alle herauszufinden«, sagte Berger. »Und wenn es nun ein Alleinstehender ist? Oder einer, der immer zwischen Deutschland und Amerika hin und her pendelt? Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten.«
Julia Durant schenkte sich einen Kaffee ein und stellte sich ans Fenster. Am Platz der Republik wurde immer noch mit Preßlufthämmern gearbeitet, eine lange Blechschlange zog sich bis weit hinter den Güterplatz. Straßenbahnen, Autohupen, der Gestank der Abgase, Stop-and-go-Verkehr. Berger hielt ihr einen Ordner hin. »Der endgültige Bericht der Gerichtsmedizin über die letzten beiden Opfer. Hier, wenn Sie Interesse haben...«
»Später«, sagte Durant, trank den Kaffee aus. Drehte sich um, nahm ihre Tasche vom Haken. »Ich nehme mir die Rückerts noch mal vor. Ich werde versuchen, eine schriftliche Aussage zu bekommen. Auch wenn ich mir ehrlich gesagt nicht allzuviel davon verspreche. Und danach fahre ich in den Heisenrath, mal sehen, was bei den Delgados rauszukriegen ist. Ich werde wohl für den Rest des Tages unterwegs sein.«
Montag, 12.00 Uhr
Rückerts. Er war allein zu Hause und wollte die Kommissarin zuerst nicht in die Wohnung lassen - bis sie ihm mit einer Vorladung drohte. Erst dann gab er widerwillig die Tür frei. Er stank nach billigem Fusel, hatte glasige Augen. Sie blieben im dunklen Flur
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