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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Pfeife«, konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen. »Ich rauche eine Pfeife am Tag, wenn überhaupt. Manchmal vergeht eine ganze Woche. Es ist kein Vergleich.« Sie räumten gemeinsam den Tisch ab, der alte Mann holte eine Flasche Wein aus dem Keller, stellte sie auf den Tisch und sagte: »Komm, laß uns ein wenig auf die Ter rasse gehen, der Abend ist zwar kühl, aber schön. Es hat in den letzten Tagen viel geregnet, bei euch auch?« »Es geht.«
Sie setzten sich auf die Hollywoodschaukel, Dunkelheit hatte das Land eingehüllt, die letzten Wolken verzogen sich und machten Platz für einen endlosen Sternenhimmel. Eine Weile lauschten sie in die Stille hinein, ein Dorf, nur wenige Kilometer außerhalb von München und doch ein Ort tiefen Friedens und großer Beschaulichkeit. Nach kurzer Zeit begann Julia Durant zu frösteln, sie ging ins Haus und zog sich eine Strickjacke über. Der alte Mann sagte nach einer Zeit langen Schweigens: »Du kennst die Hofmayers, nicht?«
Seine Tochter nickte, ihr war jetzt kalt an den Beinen, sie wollte aber nichts sagen, um ihrem Vater nicht die Freude zu nehmen, mit ihr im Freien zu sitzen und vielleicht in Erinnerungen zu schwelgen.
»Sie waren, wie du weißt, eine große Familie. Die Eltern leben beide nicht mehr, und ich glaube, ich kann dir jetzt, nachdem einige Zeit vergangen ist, die Geschichte dieser Familie erzählen. Hier im Ort waren sie über Generationen hinweg die Familie schlechthin, vorbildliches Familienleben, der Hof zweihundert Jahre lang immer vom Vater auf den jeweils ältesten Sohn weitergegeben, soweit ich herausgefunden habe, war keiner unter ihnen, der nicht Sonntag für Sonntag die Kirche besucht hätte. Sebastian Hofmayer war ein fleißiger, hilfsbereiter Mann, seine Frau eine perfekte Hausfrau.
Irgendwann aber hatte ich das Gefühl, daß etwas bei ihnen nicht stimmte. Du weißt ja, man merkt etwas, schenkt dem aber nicht gleich Beachtung. Es fiel mir an den Kindern auf, sie wurden immer ruhiger und in sich gekehrter, je älter sie wurden. Ich versuchte einige Male, mich mit ihnen zu un terhalten, doch sie waren immer darauf bedacht, so schnell wie möglich wieder von mir wegzukommen. Ich begriff es nicht, machte mir aber keine weiteren Gedanken darüber. Bis vor etwa fünfzehn Jahren eines der Mädchen, die inzwischen eine junge Dame war, zu mir kam und mich um ein Gespräch bat. Wir verbrachten die halbe Nacht in meinem Büro, und was sie mir erzählte, war das Unglaublichste und Schrecklichste, das mir je zu Ohren gekommen ist, obwohl ich schon viel Schlimmes hören mußte. Sie war so hübsch an jenem Abend, ich werde ihren Anblick nie vergessen, dieses zarte Gesicht; aber ihre Augen - ihre Augen waren hell und ausdruckslos, und sie hatte einen Zug um den Mund, den sonst nur alte, verbitterte Frauen haben. Ich erfuhr, daß sie seit ihrem sechsten Lebensjahr von ihrem Vater, und nicht nur von ihm, sondern auch von ihren beiden Onkeln regelmäßig sexuell mißbraucht wurde. Wenn es stimmt, was sie sagte, dann haben sie die ekelerregendsten Dinge von ihr verlangt. Diese freundlichen, hilfsbereiten Männer, die geachtet waren im ganzen Ort, hatten eines der widerlichsten und verdammungswürdigsten Verbrechen begangen, das ein Mensch nur begehen kann. Und das war nicht alles, ein paar Wochen später kam ihr Bruder zu mir, sie hatte ihm von ihrer Beichte bei mir berichtet, und er kam mit fast der gleichen Geschichte, nur daß diesmal die Mutter die treibende Kraft gewesen war. Die Kinder waren nicht nur von ihren Eltern, sondern auch von Onkeln und Tanten und einigen Bekannten und sogenannten Freunden mißbraucht worden. Man hatte sie gezwungen, sexuell miteinander zu verkehren. Man hatte keine Perversion ausgelassen, und keiner im Ort hat's gemerkt. Ich sagte den beiden damals, sie sollten zur Polizei gehen und alles aufdecken. Daraufhin meinten sie resignierend, zur Polizei zu gehen wäre sinnlos, sie könnten ja nichts beweisen.« 205 Der alte Mann stockte, fuhr dann fort: »Das sind Momente, da wünscht man sich, nicht an ein Beichtgeheimnis gebunden zu sein. Du kannst dir vorstellen, wie schwer es mir von da an fiel, die alten Hofmayers jeden Sonntag in der Kirche zu begrüßen und in ihre scheinheiligen Gesichter zu blicken. Ich brauchte mir nicht großartig vorzustellen, welche Abgründe sich hinter ihren freundlichen Gesichtern auftaten...« »Du hast nie mit ihnen gesprochen?« »Wie denn? Hätte ich sie darauf angesprochen, hätte ich mich strafbar

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