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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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gemacht. Ich hätte nicht nur das Beichtgeheimnis verletzt, sie hätten mich auch wegen Verleumdung belangen können. Jetzt sind beide tot, und eventuelle Fragen werden sie nie beantworten, zumindest nicht hier auf der Erde. Aber sie werden sich vor einem anderen, höheren Richter zu verantworten haben. Wo die Kinder jetzt sind und was sie machen, weiß ich nicht, ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Aber seither weiß ich, daß in dieser Welt nichts unmöglich ist. Ich glaube dennoch weiterhin an das Gute im Menschen, doch ich kann nie ausschließen, daß sich im Innern des nettesten und geachtetsten Menschen ein furchtbarer Abgrund auftut.« Er machte eine Pause und sah seine Tochter an, als forschte er nach einer besonderen Reaktion in ihrem Gesicht. »Ich habe dir das erzählt, um dir zu zeigen, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die uns unbegreiflich erscheinen. Ich stelle mir oft die Frage, ob ich denn, obgleich so viel Schreckliches geschieht, das Recht habe, zu verurteilen. Fast vierzig Jahre lang habe ich gepredigt, daß wir alle Gottes Kinder sind, jeder einzelne Mensch auf dieser Erde. Und was immer jemand tut, er bleibt immer noch ein Kind Gottes. Ich kann nicht erwarten, daß du das verstehst...« »Du hast nie wirklich akzeptieren können, daß ich Polizistin geworden bin, aber hier auf dieser Erde können wir mit göttlicher Gerechtigkeit nichts anfangen, hier zählt einzig das Gesetz der Stärke. Vater, du weißt, das mit Gott ist so eine Sache. Ich glaube ja daran, daß es eine Macht gibt, die größer ist als jede menschliche Macht, aber ich habe immer noch Mühe, mir diesen einen Gott vorzustellen. Wenn ich das ganze Elend dieser Welt sehe, frage ich mich oft, wo dieser von dir gepredigte Gott ist. Wo versteckt er sich, wenn ein Kind von seinen Eltern verkauft wird, um lüsternen, geilen Böcken zu Willen zu sein? Wo ist er, wenn blonde Mädchen Angst haben müssen, massakriert zu werden, wo ihnen doch eigentlich noch das ganze Leben offenstehen sollte?« Sie hielt inne, ihr Vater hatte seinen Blick zum Himmel gerichtet, er erwiderte nichts. »Sag mir, Papa, wo ist dieser Gott?«
»Ich weiß nicht, wo er ist, vielleicht aber ist er genau in diesem Augenblick in deinem Herzen, vielleicht hat er gewollt, daß du Polizistin geworden bist, um das Schlechte zu bekämpfen. Aber auf viele Fragen kann ich dir keine Antwort geben, und wenn ich es täte, würdest du es wahrscheinlich nicht begreifen. Gott wird auch für mich, solange ich lebe, stets etwas Mystisches haben. Doch was immer geschieht, ich werde ihn nie verleugnen.« Er legte seine Hand auf die seiner Tochter und sagte: »Es ist kalt geworden, laß uns hineingehen.«
Er erhob sich gleichzeitig mit ihr, die Schaukel bewegte sich noch einige Male vor und zurück, der alte Mann schloß die Terrassentür. Julia Durant schenkte die beiden Gläser voll Wein, reichte eines davon ihrem Vater. Drei Kerzen tauchten das Zimmer in ein warmes Licht, Schatten wurden an die Decke gezaubert. Als sie zu Bett ging, war es nach Mitternacht. Sie schlief lange nicht ein, grübelte. Was, wenn es tatsächlich ein Deutscher war, einer, der nur jeweils im April und September nach Amerika jettete, zumindest bis vor kurzem? Und der jetzt hier sein Unwesen trieb. Der Gedanke war beinahe unglaublich. Sie verließ München am frühen Sonntag abend. Tankte unterwegs, kaufte Lebensmittel, Bier und Zigaretten im Tankstellenshop, zahlte mit Scheckkarte. Brauchte fünf Stunden bis Frankfurt, zähflüssiger, teilweise stockender Verkehr. Der Himmel in Frankfurt sternenklar, böiger Nordwestwind. Im Briefkasten Reklame, zwei Briefe, einer von der Bank, Kontoauszüge, der andere von Tomlins Klinik. Sie riß den Brief auf, ein kurzes Schreiben mit der Bitte, den beigefügten Antrag für die Operation zu unterschreiben und einen Termin für eine weitere Untersuchung auszumachen. Sie wollte gleich morgen anrufen. Sie ging langsam die Treppe nach oben, ihr graute vor der Leere der Wohnung. Es war nicht aufgeräumt (seit Wochen schon hatte sie sich vorgenommen, einen Putz- und Waschtag einzulegen), ungewaschene Wäsche in den Ecken, Essensreste auf dem Tisch und in der Küche, abgestandene Luft. Mißmutig ließ sie ihre Reisetasche auf den Boden fallen, ging zum Kühlschrank und holte eine Dose Bier heraus. Sie schaltete den Fernsehapparat ein, drückte alle Kanäle durch, blieb bei MTV hängen. Sie war müde, glaubte aber nicht an einen erholsamen Schlaf. Dachte an

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