Jung, blond, tot: Roman
verkrampften sich, seine Kiefer mahlten aufeinander, er brütete dumpf vor sich hin. Er drehte sich abrupt um, kam schnell wieder auf Patanec zu, blieb etwa einen Meter vor ihm stehen. Patanec drehte einen Bleistift zwischen seinen Fingern, gab sich überlegen, plötzlich aber ergriff ihn Angst. Tomlins finsterer Blick, seine drohende Haltung waren ihm fremd. Er spürte, daß er sich vielleicht zu weit vorgewagt hatte. »Susanne hat also geplappert, was? Denn nur sie wußte das mit dem Glas. Aber gut, was, wenn du wissen würdest, warum das Glas in meiner Hand zerbrochen ist?« »Nichts, absolut nichts. Du bist mein Freund. Uns verbindet schließlich eine jahrelange Freundschaft.« Tomlin lachte zynisch. »Freundschaft, Freundschaft! Als ob dieses Wort heutzutage auch nur die geringste Bedeutung hätte! Du würdest es nie verstehen... Nein, ich habe mit den Morden nichts zu tun. Und du solltest aufhören, mir diese Absurditäten zu unterstellen, mir Dinge an den Kopf zu werfen, die vollkommen aus der Luft gegriffen sind! Ich werde gehen, und ich warne dich, als Freund, du wirst deine Vermutung niemandem mitteilen, verstanden?!« Er streckte den linken Arm aus, deutete drohend auf Patanec. »Ich lasse mich nicht verleumden, von dir schon gar nicht! Also, kein Wort zu irgendwem, kapiert?!« »Und warum nicht, wenn du's nicht warst?« »Ich hasse Gerüchte und Lügen, das ist alles.« Patanec stand auf, legte den Bleistift hin, nahm sein Glas, füllte es, fragte: »Wieviel Haß ist wohl in dem Mörder?« Tomlin war auf einmal weit weg. »Haß? Was ist Haß? Das Gegenteil von Liebe? Aber was ist Liebe? Sexualität, Bumsen, Ficken, ein dicker, langer Schwanz und eine nasse Fot-ze? Ist es Schreien, Stöhnen, Schlagen? Was ist Liebe, und was ist Haß? Wo hört Liebe auf, und wo fängt Haß an? Fängt Liebe in dem Moment an, wo du aus einem geilen Schwanz in den Mutterleib geschossen wirst? Ist Liebe eingesperrt sein oder Freiheit? Oder ist all das Haß? Sag mir den Unterschied zwischen Liebe und Haß. Sag's mir, du großer Meister!«
»Kennst du nicht den Unterschied? Deine Frau liebt dich, deine Kinder lieben dich, deine Mutter, sie liebt dich wahrscheinlich mehr als alles auf der Welt!« Tomlins Augen wurden glühende Kohlen. Er wirkte auf einmal seltsam traurig. »Mutter? Hast du Mutter gesagt? Oh, Freund, wenn du wüßtest, was du da sagst!« Patanec leerte sein Glas, stellte es auf den Schreibtisch. Er fragte: »Wie viele werden wohl noch dran glauben müssen? Wann wird der Killer aufhören, seinen Haß zu befriedigen? Worin besteht sein Haß?« Tomlin sah durch Patanec hindurch, er wurde gefährlich ruhig, ging auf Patanec zu, blieb wenige Zentimeter vor ihm stehen, die linke Hand in der Hosentasche, die andere legte er auf die Schulter von Patanec: »Es gibt keinen Haß, und es gibt keine Liebe. Alles ist leer. Leer, leer, leer. Und manche Menschen hören einfach früher auf zu leben, mein Freund! Es tut mir leid.«
Der Anruf erreichte das Präsidium um kurz nach halb acht. Ein Mord am Lerchesberg, ein prominenter Psychologe. Als Berger und Durant am Tatort eintrafen, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Patanec lag in der Mitte seines Behandlungszimmers, die leeren Augenhöhlen zur Decke gerichtet, ein langer Schnitt zog sich von einem Ohr 236 zum anderen, von weitem hätte man es für ein breites, clownhaftes Grinsen halten können. Seine Kleidung war blutdurchtränkt, ein riesiger Schnitt im Brustbein, das Herz lag frei. Blutspritzer bis an die Decke und über den Boden verteilt, an den Möbeln. Die Jalousien waren runtergelassen, auch hier Blutspuren.
Die Putzfrau, eine Spanierin, die den Toten gefunden hatte, saß mit einem Schock auf dem Flur, war in sich zusammengesunken, jammerte auf spanisch vor sich hin. Ein herbeigerufener Arzt kümmerte sich um sie, gab ihr eine Spritze in den Arm. »Mein Gott!« stieß Durant entsetzt hervor. »Hier hat jemand ein Massaker veranstaltet!«
»Massaker ist genau das richtige Wort«, sagte Berger ruhig. »Ein richtiges Schlachtfest. Aber Patanec war ja kein unbeschriebenes Blatt.«
»Die Sache liegt mehr als zwanzig Jahre zurück!« »Was wissen Sie schon, was dieser Kerl jetzt getrieben hat?! Vielleicht hat er seine Finger in schmutzigen Geschäften gehabt, oder hat sich nicht an gewisse Regeln gehalten, und jetzt mußte er dafür bezahlen. Sieht ganz nach einem Mafiamord aus.«
»Ich glaube es nicht«, sagte Julia Durant zweifelnd. »Dann beweisen Sie mir das Gegenteil!
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