Jung, blond, tot: Roman
dauern. Sind Sie bereit?« »Muß das heute sein?« fragte der Mann mit tonloser Stimme. »Kommen Sie morgen wieder oder übermorgen oder, zum Teufel, überhaupt nicht!«
»Nein, jetzt und hier, so leid es mir tut. Ich kann verstehen, was Sie jetzt...« »Reden Sie doch nicht so einen Scheiß, Sie verstehen überhaupt nichts! Haben Sie Ihre Tochter verloren oder wir?« fragte Schubert aggressiv.
»Bitte, lassen Sie uns jetzt nicht streiten. Wenn Sie wollen, daß wir den Mörder finden, brauchen wir Ihre Hilfe.« »Also gut, fragen Sie«, sagte Schubert schulterzuckend, schenkte sich Whisky nach, stand mit dem gefüllten Glas auf, ging zur offenen Terrassentür, starrte in die Nacht. »Sie waren heute abend in der Oper, wie ich erfahren habe. Warum ist Annette allein hiergeblieben?« »Sie hatte keine Lust. Sie wollte zu Hause bleiben, früh zu Bett gehen und sich auf morgen vorbereiten...« Schubert stockte, ein paar Tränen, die er mit der linken Hand wegwischte, Durant wartete, bis er sich etwas erholt hatte. Er fuhr mit schwacher Stimme fort: »Sie müssen wissen, Annette war Tänzerin, sie sollte morgen ihren ersten großen Auftritt in >Giselle< haben. Sie war nervös, wollte einfach ihre Ruhe haben und sich mental darauf vorbereiten. Die Oper wäre nur eine schlechte Ablenkung gewesen. Ich 98 weiß, wovon ich spreche, vor großen Auftritten brauche ich auch meine Ruhe, selbst heute noch.«
»Wissen Sie, ob Ihre Tochter mit jemandem verabredet war?«
»Wie kommen Sie darauf?« Schubert drehte sich um, sah Durant verständnislos an. »Es ist nur eine Frage. Es gibt keinen Hinweis auf ein gewaltsames Eindringen ins Haus.«
»Nein, nein, nein!« verteidigte er Annette. »Vielleicht stand die Terrassentür offen! Mein Gott, Sie kennen unsere Tochter nicht! Sie lebte nur für den Tanz, ihre Freundinnen hatte sie im Ballett. Und ausgerechnet heute abend...«, Schubert schüttelte bitter lachend den Kopf, »nein, niemals! Glauben Sie mir, hätte Annette eine Verabredung gehabt, wir hätten es gewußt.« »Was ist mit dem Bekanntenkreis Ihrer Tochter? Mit wem war sie oft zusammen?«
»Sagte ich doch schon, Leute aus dem Ballett. Ansonsten war Annette eher eine Einzelgängerin. Sie war eben durch und durch Künstlerin.« »Hat Ihre Tochter ein Tagebuch geführt?« »Tagebuch? Kann sein, aber...«
»Sie hat eins, ich weiß es«, meldete sich der Junge zu Wort, ohne von seinem Nintendo Gameboy aufzublicken. »Es liegt in ihrer Schreibtischschublade. Die ist aber abgeschlossen.«
»Woher weißt du das?« fragte die Mutter erstaunt. »Ich habe gesehen, wie sie drin geschrieben und es anschließend in die Schublade gelegt hat.« »Gut, dann werde ich das Tagebuch an mich nehmen und es Ihnen bei passender Gelegenheit zurückgeben.« »Aber... das ist Eingriff in die Intimsphäre«, entrüstete sich Schubert. »Die Aufklärung eines Mordes liegt im öffentlichen Interesse, Herr Schubert«, sagte Julia Durant, »wir müssen jedes Detail untersuchen, das uns eventuell zum Täter führen könnte. Glauben Sie mir, wir wissen, was wir tun.« »Ach, machen Sie doch, was Sie wollen, aber finden Sie um Himmels willen diese elende Drecksau!« Die Spurensicherung war noch bei der Arbeit, zwei Männer vom Bestattungsinstitut waren eingetroffen und schleppten einen häßlichen Blechsarg nach oben. Auch sie trugen Handschuhe. Der Arzt von der Rechtsmedizin war mit den ersten Untersuchungen fertig, hatte seine vorläufigen Ergebnisse in ein Diktiergerät gesprochen. Durant hatte auch einmal probiert, mit einem Diktiergerät zu arbeiten, doch ihr lag es nicht, Eindrücke und Vermutungen in ein Gerät zu sprechen, sie machte lieber stichpunktartige Notizen, dazu kam ihr fast fotografisches Gedächtnis, sie konnte sich selbst nach sehr langer Zeit noch an winzige Details erinnern. Auch hier hatten das Bild des Tatortes, die Lage des Mädchens, die Ausstattung des Zimmers sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt. Bevor auch sie ging, es war mittlerweile drei Uhr, bat sie den Bruder der Toten, ihr zu zeigen, wo Annettes Tagebuch zu finden war. Sie nahm es an sich und machte noch mit Berger und Schulz aus, wann am Morgen sie sich im Büro treffen würden. Berger sagte, um halb neun. Der Gerichtsmediziner sicherte Berger zu, die Autopsie der Leiche bis spätestens fünfzehn Uhr beendet zu haben. Die Nacht war sternenklar, das Gewitter hatte die Luft gereinigt, die lau und gut zu atmen war. Julia Durant schloß die Tür ihres Wagens auf und setzte
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