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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Ding rutschte ihm aus der Hand. Lena zog es mit der freien Hand heran, drehte es um und holte ihrerseits aus, ohne zielen zu können.
    Als sie das nächste Mal hochschaute, blutete Foghs Gesicht.
    Plötzlich traf eine Spitze ihre Schulter, Lena schrie auf.
    Wieder sauste das Metall an ihrem Ohr entlang.
    Er sticht mich ab, wenn ich liegen bleibe. Er sticht mich ab, ich lasse los und stürze.
    Sie konzentrierte sich auf ihre Beine und versuchte, sie an den Körper zu ziehen, um sich mit gesammelter Kraft aufrichten zu können.
    Foghs Waffe traf sie am Oberschenkel. Einmal und noch mal drang die Spitze in den Muskel.
    Greif nicht nach dem Ding! Wenn du dich daran hochziehst, lässt er los.
    Sie riskierte weitere Treffer. Mit der Wut einer Vierzehnjährigen zwang sie ihren Körper. Sie richtete sich auf, klammerte sich an den Felsen, wurde an der anderen Schulter getroffen und stemmte sich nach vorn.
    Fogh schaute überrascht und blutig.
    Sie hatte ihren Stab fest in der Hand, hieb ihn in den Schnee, stand auf und ging sogleich auf Fogh los. Der lachte auf und stürzte. Nach hinten. Lena zielte nicht, sie schlug auf ihn ein. Als die Hand zu streiken begann, änderte sie ihren Bewegungsablauf und stach zu.
    Warum höre ich nicht auf?
    Mir Jans Tod anhängen!
    Mir sogar einen Mord anhängen!
    Und dann auch noch Selbstmord behaupten. Schuldgefühle! Mein Vertrauen missbrauchen und mich in den Tod treiben   …
    Die Spitze war zu kurz, um schwere Verletzungen zu stechen, aber Fogh hatte schon so massive Schmerzen, dass sein Körper alle Energie auf den Eigenschutz konzentrierte. Er versuchte, jeden Stoß abzuwehren. Aber er wurde schwächer.
    Er wird hingehen und dich verklagen. Du hättest ihn überfallen. Auch egal. Weg hier!
    Sie sah sich in der Gondel stehen.
    Wie bin ich hergekommen?
    Offenbar hatte sie ihren Rucksack geschnappt und die Rückfahrt angetreten, ohne sich jedes einzelnen Schritts bewusst zu sein.
    Das ist wie bei unseren Adrenalintests, dachte sie – und vergaß den Gedanken schon wieder.
    Ich habe mir Halstücher um die Oberschenkel gewickelt, das ist gut. Tropfe ich irgendwo?
    In der Gondel waren außer ihr nur der Gondelführer und die blonde Mutter mit dem Kind. Das Mädchen starrte Lena an und kaute Kaugummi. Die Mutter stand hinter ihr und hielt die Zöpfchen hoch, als wolle sie ihre Tochter wie einen Gaul lenken.
    Die Fahrt dauerte sehr, sehr lange.
    Manchmal glaubte Lena, sie würde sie mehrfach absolvieren. Immer wieder vom Berg hinunter.
    In der Bahnstation stand kein roter Zug. Sie lief zur Straße hinunter und versuchte, einen Cabriolet-Fahrer aus der Richtung Morteratsch zu stoppen. Der fuhr unbeirrt weiter. Bei einem Truck traute sie sich nicht. Aber dann kam ein Motorrad. Sie stellte sich auf die zweispurige Straße inmitten von Wiesen und Geröll und winkte.
    Das Motorrad kam ins Schlingern, zog an ihr vorbei und bremste. Der Fahrer warf seine Handschuhe auf die Erdeund kam auf Lena zu: »Verdammt noch mal! Bist du völlig bescheuert?«
    Sie lockerte eines der Tücher um ihren Oberschenkel. Inzwischen war es blutgetränkt. Der Mann nahm seinen Helm ab. »Besser, du nimmst ein Auto ins Hospital.«
    Doch Lena ging direkt auf das Motorrad zu. »Ich muss nur den nächsten Zug kriegen. Wenn wir einen sehen, halten Sie auf dem nächsten Bahnhof.«
    Sie spürte das Stechen in den Oberschenkeln, als sie anfuhren. Und die Kurven. Aber es ging voran.
    Was unterscheidet Schlaf und Ohnmacht?
    Halte dich nur fest.
    Wenn Fogh mir nicht folgt, kann er mich nie finden, da unten.
    Als sie wieder aufwachte, klammerte sie sich noch immer als Schmerzensäffchen an dem Fremden. Hauptsache, wir sehen einen Zug.
    Und fahren nicht über Brusio hinaus.

51
    Drei Personen kamen nacheinander vom Bahnsteig herein. Die ersten beiden waren Bergwanderer. Sie grüßten eine Gruppe, die sie lautstark erwartete. Die dritte Person war Jenissej.
    Melina stand auf und ging auf ihn zu. »Na endlich!«, hörte sie sich sagen und war überrascht über den Ärger in ihrer Stimme. Eigentlich wollte sie froh sein, dass er kam.
    Jenissej wirkte verlegen. So standen sie einen Moment vor dem großen hellen Holztisch, auf dem nur Melinas Bierglas wartete.
    Jenissej stellte seine Reisetasche ab und umarmte sie.
    Sie sträubte sich nicht. Es war nicht unangenehm. Jenissej war kräftig, und es tat gut, sich kurz innerlich fallen lassen zu können. Einmal war da sogar so etwas wie ein stiller Schluchzer.
    Hoffentlich hat er es nicht

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