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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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sinnlos damit herum, dachte er. Genau so, wie andere Amateurfilmer ständig rein- und rauszoomen, einfach weil die Taste existiert. Und egal, ob den Zuschauern schlecht wird oder nicht. Mir jedenfalls wird schlecht von Weißblenden.
    Und wie kommt Jenissej auf die Idee mit der Sphärenharmonie? Ich kann in den Bildern keine Dissonanzen oder Harmonien erkennen. Der Film hat keinen Ton. Die Farbzuordnung passt nicht. Die Sphärenharmonik kommt aus der Antike. Aufgegriffen im Barock, oder täusche ich mich? Da liegt der Hase im Pfeffer! Jenissej und sein Barock-Tick! Der steht sich selbst im Weg.
    Er wählte Jenissejs Handy-Nummer.
    »Ja. Ich bin’s. Wie kommst du auf Keplers Himmelsharmonik?«
    »Schroeter? Na ja   … Da sind die Planeten. Und die Bahnen der Planeten, in Lenas Film. Wieso fragst du?«
    »Weil es nicht passt. Und weil’s zu kompliziert ist.«
    »Lena hat sich an meine Idee erinnert, und dann hat sie   … «
    »Deine Idee! Deine Tochter ist plötzlich fasziniert von dir und deinen Ideen? – Quatsch! – Kann es eine andere Deutung geben, die mit Planeten zu tun hat?«
    »Hm, ich wüsste nichts. Mir fällt nichts ein.«
    »Ha! Siehst du, Jenissej! Tunnelblick. Wenn du nur einen einzigen Weg siehst, ist der Weg falsch.«
    »Klau nicht meine Sprüche, Schroeter! – Und was für andere Wege?«
    »Überleg, was deine Tochter sonst noch mit Sternen amHut hat! Hat sie ein Teleskop, mit dem sie den Mond betrachtet?«
    »Nein. – Also: Ich glaube nicht.«
    »Steht sie auf Sternzeichen?«
    »Meinst du, ob sie weiß, welches Sternzeichen sie hat?«
    »Die Leute glauben, dass die Konstellation ferner Planeten zum Zeitpunkt der Geburt einen Einfluss auf die Intelligenz eines Menschen hat. Hingegen können Sie sich nicht vorstellen, dass die lebenslange Beschäftigung mit Horoskopen zur Verblödung führt. Astrologie. Glaubt sie daran?«
    »Nicht dass ich wüsste. Ich weiß nicht mal, welches Sternzeichen ich bin.«
    »Um dich geht es nicht!« Er wurde lauter. »Das ist überhaupt das Problem, du Ignorant! Jenissej, es geht nicht um dich! Es geht um Lena! Wieso soll sie sich an deiner grottigen Sphärenharmonik orientieren? Das fasziniert einen verkopften Barockianer wie dich, aber keine Vierzehnjährige!«
    »Schroeter, Schroeter, wer hat dir heute ins Essen gehustet? – Was ist deine Theorie?«
    Schroeter grummelte. »Ich habe keine. – Ich versuche, mich in Lenas Kopf zu versetzen. Sie steckt irgendwo und will nicht jedem sagen, wo dieser Ort ist. Aber dir möglicherweise. Also, wie kann ich das in einem Bild verschlüsseln? Nehmen wir das Planetensystem. In der Mitte ist die Sonne. Und die heißt ausnahmsweise nicht Jenissej, sondern Lena.
Sie
ist der Mittelpunkt, das ist der Ort, an dem sie sich aufhält. Um sie herum laufen die Planetenbahnen, dargestellt als Kreise. Ist doch so? Was liegt näher, als den Planeten Namen zuzuordnen. Sagen wir mal: Der äußerste Kreis heißt Deutschland. Der nächste Bayern. Der dritte Franken. Und so weiter. Wenn du die Planeten in die richtige Reihenfolge bringst, kreist du ihren Standort ein. – Hallo? Jenissej?«
    »Bin dran. Ich überlege. Hast du das durchgespielt?«
    »Woher denn? Ist mir eben erst eingefallen. Kann genau so falsch sein wie deine Sphärenharmonik.«
    »Klingt aber plausibel, Schroeter.
Tirana
. Einer der Planeten bedeutet
Tirana.
«
    »Lass uns die Filme daraufhin noch mal checken.«
    »Gut, Lena ist die Sonne. Klar.
Sie
steht im Mittelpunkt. Passt auch zur Pubertät.«
    »Das hat damit nichts zu tun. Ob sie im Mittelpunkt stehen will oder nicht, Jenissej. Es geht nur um den Ort, an dem sie sich versteckt. Das ist der Mittelpunkt. Und wenn die Sonne im Mittelpunkt steht, ist es eben die Sonne.«
    »Danke dir für den Anruf.«
    »Noch was. Kannst du mit den Weißblenden was anfangen?«
    »Oh, unser Lieblingsthema. Nix da, Schroeter, no idea.«

58
    Hans-Henrik Fogh und Christine standen unter den Glocken von St.   Mauritius. Ältere Touristen hatten sich genähert, versuchten, in dem Rasen die ursprünglichen Grundrisse der Kirche zu erkennen und schauten aufmerksam, als sie ein junges Pärchen sahen, das im Eingang des Turmes stand. Daraufhin hatte Fogh die Holztür von innen zugezogen und hielt sie fest. Die Senioren klinkten ein-, zweimal und ließen enttäuscht ab. Fogh und Christine wollten warten, bis die Leute außer Sichtweite waren. In den unteren Etagen gab es kein Fenster, deshalb zog es sie nach oben ans Licht, wie die Fliegen.

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