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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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über Christines Spielchen, so gar nicht zu antworten.
    Will sie den Turmgeist geben?
    Ja, genau, das ist es! Sie will mich erschrecken, wenn ich oben bin. Das Gespenst von   … – wie heißt die Kirche?
    Sie überlegte, ob sie etwas hätte, womit sie Christine erschrecken könnte.
    Vielleicht halte ich ihr meinen Automatik-Schirm entgegen – und wenn sie
Buh
macht, spanne ich   … Ach, das ist ja piefig. – Ich tue überrascht, das ist das Beste. Dann freut sie sich, und es geht nicht ins Auge.
    Mit den Stufen kam nicht nur mehr Licht, sie vernahm auch Geräusche. Ihr war, als schleife Christine größere Gegenstände über den Boden.
    Sie keuchte.
    »Christine, es ist ein anstrengender Tag mit dir.«
    Oben machte niemand
Buh
.
    Erstaunt war sie trotzdem, denn Christine schien nicht allein zu sein. Gegen das Licht der Glockenöffnung konnte sie den Mann neben Christine nicht gleich erkennen.
    Die küssen sich.
    Nein!
    Da war ein Bild aus ihrer Kindheit. Zwei große Hunde, die miteinander kämpften. Melina hatte fasziniert zugesehen und ihren kleinen Zeigefinger ausgestreckt, bis man ihr von oben herab sagte, die beiden Hunde hätten sich einfach sehr lieb.
    Hier war die Umkehrung dieser Szene.
    Christines Haar hüpfte, als es von dem Schlag getroffen wurde. Melina sah das Gesicht von Dr.   Fogh aus dem Berliner
Institut Zucker.
Voller Pflaster, von Blut überströmt.
    Das Scharren der Füße, stille Flüche. Ein langes, unendlich langes Wischen von Füßen über den Fußboden, das Kippen der zusammengeknüllten Figur und die Stille.
    Melina sah St.   Moritz von oben. Sie hatte noch nicht einmal die letzte Stufe erklommen. Ein dumpfer, leiser Schlag, als habe jemand einen Sack Mehl über die Brüstung geworfen, der im Gras gelandet sei.
    Kein Schrei.
    Melina brauchte eine Weile. Sie stand da. Unbeweglich. Ihr Körper hatte sich auf Angriff oder Flucht vorbereitet. Jetzt gab er Entwarnung. Schlaff stand sie halb auf der einen, halb auf der andere Stufe und konnte sich nicht rühren.
    Der eine Gedanke hatte Mühe, bei ihr vorzudringen – der Gedanke, die Treppe wieder hinabzusteigen und nachzusehen, was unten angekommen war.

59
    Almagest!
    Der Dateiname in der Version, die Melina erhalten und ihm zuerst vorgespielt hatte, war »alma«.
    Almagest!
Eines der wenigen arabischen Wörter, die Jenissej kannte. Es hörte sich nach
Al-Madd-shest
an, wenn er es laut aussprach.
    An das Planetenmodell aus Holz dachte Jenissej mehrfach, seit Kommissar Melchmer danach gefragt hatte. Nur auf Lenas Filme hatte er es nicht bezogen. Bis jetzt.
    Erst als ihm die Bezeichnung wieder einfiel –
Almagest
  –, kam ihm die Idee.
    Wie war das? Dass die Erde eine Scheibe wäre, das war eine vergleichsweise moderne Idee – im Mittelalter wollte man und sollte man daran glauben. Die Griechen hingegen hatten schon genau gewusst, dass Himmelskörper die Form einer Kugel haben und umeinander kreisen. Schließlich konnte man es beobachten. Claudius Ptolemäus war einer der antiken Astronomen, etwa 100   n.   Chr.? Ptolemäus sieht sieben Planeten, die in einem System zusammengehören. Dreizehn Bücher schreibt er darüber. Die mittelalterliche Kirche des Christentums versucht, das Werk zu ignorieren. Dabei hat sein Modell einen erheblichen Vorteil: Ptolemäus sah im Mittelpunkt die Erde. Die anderen Planeten drehten sich um sie. Und zu den Planeten zählte er auch den Mond und die Sonne. Spielbälle der Erde.
    Während das Abendland sich im Mittelalter durch Dummheit und Ignoranz selbst verfinsterte, übersetzten die Araberdas Werk des Ptolemäus und trieben zwischen dem zehnten und fünfzehnten Jahrhundert eifrige Wissenschaft. Sie nannten sein dreizehnbändiges Werk
Almagest,
und dies ist auch der sinnverkürzte Name für das Holzmodell, das ich Lena geschenkt habe.
    Und da hängt eben auch nicht die Sonne im Zentrum, sondern die Erde. Um die Erde kreist der Mond, darum der – Merkur? Ich muss das im Netz suchen. Ich glaube, die Reihenfolge ist: Erde   – Mond   – Merkur   – Venus   – Sonne   – Mars   – Jupiter   – Saturn. Habe ich einen vergessen? Es waren neun. Ach ja, die Fixsterne. Die Sterne als Nummer 9.
    Jenissej zählte in Gedanken die Motive in Lenas drei Filmen. Jeder Film hatte drei, zusammen neun. Vorausgesetzt, sie würde keinen weiteren Dateien schicken, stimmte die Zahl.
    Er ging die Filme in der Reihenfolge ihres Eingangs noch einmal durch und notierte die wichtigsten Aspekte, die mit

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