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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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verschaffte Jenissej ein amorphes Gefühl von Gemütlichkeit. Vielleicht hatte seine Mutter Rosinenkuchen gebacken, den er aß, während es draußen stürmte und schneite. Jedenfalls half es ihm heutzutage, länger vor den ungeliebten Computern auszuharren.
    Jenissej veränderte einige Einstellungen – und endlich ließ sich die Datei dazu herab, den Film zu starten.
    Alles verschneit. Das Bild wackelte, und nur schemenhaft sah er eine Hand, die in eine dunklere Masse fasste. Zappelig drehte das Bild. Vielleicht eine Aufnahme mit dem Handy.
    Da war sie – bei der hastigen Kameraführung nur sporadisch in der Großaufnahme, das Gesicht wie in einem Sandsturm: Lena. Sie filmte sich selbst.
    Dann noch einmal Lenas Hand, der Griff in den – Sand? Jedenfalls rieselte es zwischen ihren Fingern.
    Für einen Moment war das Bild neutral weiß.
    Plötzlicher Schnitt auf eine dunkle Fläche, wiederum aus der zittrigen Hand aufgenommen. Ab und zu blitzte hinter der Fläche die Sonne hervor.
    Wie soll man denn da was erkennen, wenn sie das Objektiv in die Sonne hält?
    Für einen Moment schien es ihm, als sei die dunkle Fläche ein Foto mit einem Gesicht, aber mehr war nicht auszumachen. Immer wieder geriet die Sonne ins Bild und ließ die Belichtungsautomatik verrückt spielen.
    Weiß. Dann eine Aufnahme von einer – Zeichnung? Diesmal stand die Kamera still. Lena musste das Handy festgemacht haben, denn das Bild war absolut statisch.
    Draufsicht von oben: Kreise im Sand? Ja, ein Kreis mit einem Kreuz darauf.
    Der Kreis war von mehreren parallelen Linien durchkreuzt, die von rechts nach links führten. Nichts passierte. Das Bild wurde weiß, der Film war an seinem Ende angekommen.
    Was ist das?
    Und das war alles?
    Jenissej startete ihn erneut und veränderte die Kontraste.

7
    »Nehmen Sie Tor 2, links vom Hauptgebäude. Sie sehen eine chromfarbene, arabische Zwei.«
    »Ich sehe ein ziemlich großes, dunkelgrünes Gebäude mit einer Kuppel«, sagte Gero.
    »Das ist unser Institut. Jetzt links davon, Einfahrt 2.   Innerhalb des Gebäudes bis zur rot erleuchteten Säule.«
    »Roger.«
    Neonlicht, ein Betontunnel mit starker Neigung, der nach rechts abbog und schließlich auf eine unterirdische Kreuzung stieß. Gero sah die rote Lichtsäule, an der zwei Weißkittel warteten, und fuhr auf sie zu. Er schaltete das Blaulicht ab. »Alles klar zum Absprung, Piet?«
    Piet schob Axel auf der Fahrtrage durch das Untergeschoss. Einer der Institutsärzte ging vor. Sein Kittel war ungewöhnlich geschnitten, er erinnerte ihn an ein langes, weißes Jackett oder an eine indische Kurta. Auch das Ambiente war nicht wie in Krankenhäusern, die er kannte: der Boden schwarz und glänzend – Granit oder Marmor, ebenso die Säulen. Keine Wände, nur hier und dort eine Glaswand mit dezenten Chromstreifen, damit man nicht versehentlich dagegenkrachte.
    Auf den kleinen Tross wartete eine Frau, die ebenfalls den Kittel des Instituts trug. Ihre rostbraunen Haare reichten glatt bis zur Taille, wie die Sanitäter nahezu zeitgleich konstatierten. Axel durfte umsteigen auf eine Fahrtrage, die doppelt so breit war wie die der Feuerwehr. Sonnengelbes Federbett   – Piet spürte das Verlangen, sich anstelle desPatienten in die Kissen fallen zu lassen. Doch er stützte den stakenden Axel und lächelte die Rostfee mit den Sommersprossen an.
    »Hallo, Axel«, sagte die Frau. Aber der konzentrierte sich auf den Bettenwechsel in Zeitlupe.
    »Hallo, Shirin«, sagte sie.
    »Hallo, Frau Doktor Harissa.«
    »Ach   … « Piet sah von Shirin zu der Frau in Weiß – und zurück. »Sie kennen sich alle   … Das ist ja praktisch.«
    »Sie haben das Protokoll, meine Herren?«
    »Ja«, sagte Gero. »Und mein Kollege hat eine Blutprobe genommen.«
    »Oh, vorbildlich. Ein bisschen wenig, aber für die Notfalluntersuchung wird es reichen. Er hatte einen epileptischen Anfall, sagen Sie?« Sie schaute zu Shirin.
    »Das vermuten wir«, sagte Piet. »Das Mädchen hat es uns beschrieben, und auch sonst stimmen die Symptome. Äußerlich, meine ich.« Er sah schon ihren Na-das-überlassen-Sie-mal-den-Ärzten-Blick. »Wir haben keine Anti-Epileptika verabreicht. Im Augenblick scheint sein Zustand stabil zu sein.«
    »Dann vielen Dank.« Sie hob zum Abschied die Hand. »So, dann wollen wir mal.«
    »Frau Doktor Harissa?« Shirin stand wie angewurzelt und rief mit kläglicher Stimme.
    Sie verknotet ihre Finger und Hände, dachte Piet.
    »Was denn?«
    »Darf ich mitkommen und bei

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