Jung genug zu sterben
hatte wunderbar vorgearbeitet. Alle Daten der T4 4-Reihe waren so gut konfiguriert, dass er jede beliebige Variable verändern konnte, und alle vernetzten Informationen zogen mit. Das galt rückwärts gewandt für bislang erhobene Daten und ebenso für prognostische Eingaben.
Lascheter entschied sich, die Dosis der Infusionen nicht zu ändern. Die Gruppe der sechs in Frage kommenden Jugendlichen teilte er in zwei. Bei der ersten sollte das Medikament nicht mehr wöchentlich verabreicht werden, sondern monatlich. Bei der zweiten sollte die Infusion täglich erfolgen.
Gefährlich, aber nur so wird schnell klar, was es mit dem ersten, positiven Myelinschub auf sich hat.
Bleibt die Frage, wie ich die Ergebnisse sicherstelle. Die bildgebenden Verfahren sind trotz unserer Optimierungen offenbar zu ungenau. Sie gaukeln uns die weitere Myelinisierung nur vor. Ich kann nicht auf den Glücksfall setzen, jedes Hirn bald darauf in der Hand zu halten.
Wenn wir mit der Optogenetik weiter wären … Bis das zugelassen ist, feiere ich meinen 200. Geburtstag. Wir könnten es ohne Genehmigung machen. Aber Deutschland ist nicht Afrika.
Ich muss mir was einfallen lassen.
16
Melina trug ein schwarzes, für ihren Geschmack eng geschnittenes Kleid ohne jegliche Applikation. Dafür ließ es aber die linke Schulter frei, und sie fand es angenehm, ihr nun offenes Haar auf der Haut zu spüren, wann immer sie den Kopf bewegte. Im Spiegel am Eingang des Restaurants erschrak sie: Obwohl es ein einfaches Kleid war, wirkte es elegant. Die Frage war, ob sie das bei einem ersten Rendezvous mit Dr. Fogh sein wollte.
Passend zum Berliner Bezirk Spandau, der an der Havel lag, spezialisierte sich der
Kolk-König
auf Havelzander. Dass sie sich aus Fisch nichts machte, wollte sie nicht thematisieren. Immerhin war da nicht mehr der Ekel vor allem, was glitschig aus dem Wasser kam. Fischstäbchen waren die einzige Ausnahme gewesen. Manche Gerichte werden im Laufe des Lebens unmodern.
»Du siehst blendend aus, Melina.« Er hatte am Eingang das Duzen beschlossen und ihr den Beschluss mitgeteilt.
»Vielen Dank.«
»Die Königin des Abends. Deine Haare haben einen rötlichen Schimmer.«
»Wenn ich es offen trage, wirkt es röter. Und neben Schwarz sowieso.«
Ich habe mir vorgenommen, ihn noch vor dem Hauptgang zu fragen, was das plötzlich soll, mich einzuladen. Und das werde ich auch tun.
Eine Kellnerin brachte die Karten und fragte nach erstenGetränkewünschen. Nach der Prozedur fasste sie sich ein Herz und wollte ihn fragen.
Doch er kam ihr zuvor: »Was ich noch einmal fragen wollte, Melina: Weshalb studierst du Latein auf Lehramt? Ich meine, nichts gegen Latein und nichts gegen Lehrer – obwohl … Nein, wahrscheinlich wirst du eine sehr gute Lateinlehrerin sein. Aber ehrlich gesagt, fände ich es konsequenter, wenn du mit Medizin weitergemacht hättest. Warum hast du das abgebrochen? An schlechten Noten hat es bestimmt nicht gelegen.«
Ich werde rot. Herrje, auch das noch. Immer wieder, immer wieder.
»Meine Noten … Das ging so. Die waren nicht das Problem. Meine Eltern unterstützten mich sehr, und das war schon eher das Problem. Mein Vater leitet eine Kinderklinik in Schleswig-Holstein. Und meine Mutter ist Krankenschwester.«
»Willkommen im Club«, sagte Fogh. »Ich stamme auch aus einer Ärztefamilie. Das kann ganz schön an den Nerven zehren.«
»2006 habe ich mit dem Studium begonnen. 2007 hatte ich das erste Praktikum am
Institut Zucker
. Das hat mir alles großen Spaß gemacht, ich war neugierig und fasziniert. Im Grunde habe ich alles gleichzeitig belegt: Biochemie, Kinderchirurgie, Genetik … Nur mit den Grundlagen hatte ich es nicht so.«
Fogh schmunzelte. »Das kommt ja auch automatisch.«
»Na ja, automatisch … Anatomie fand ich nicht ganz so prima, aber Auswendiglernen fällt mir schon immer leicht. Ich bin strahlend nach Hause gelaufen und habe meinen Eltern erzählt, welche neuen medizinischen Welten ich tagsüber entdeckt hatte. Und jedes Mal hieß es: Ja, ja, kennenwir. Das verhält sich soundso. Das musst du soundso einordnen. Einer von beiden hatte immer längst davon gehört oder kannte sich sogar bestens damit aus. Es war egal, wie exotisch es war, was ich da machte. Forensik … Papa: Klar, mein Kind, habe ich drei Jahre in Wien bei Professor Superschlau gemacht. Hautkrankheiten von Außerirdischen? Selbstverständlich, meine Tochter, das hat deine Mama schon behandelt, da hast du
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