Jung genug zu sterben
Abgabetermin ist heute.«
Jenissej stöhnte. »Ich habe das noch nie gemacht, Schroeter, aber … Würdest du das zu Ende bringen? Ich meine, du kennst den Plan, du kennst mich, du weißt, wie es aufgelöst werden muss …? Ich kann nicht, ich bin mit Lena beschäftigt. Selbst wenn es hier keine Lösung gibt, kann ich mich nicht aufs Projekt konzentrieren. Mach du das, ja?«
Schroeter nickte nachdenklich. Dann sagte er: »Auf keinen Fall. Es ist
dein
Projekt. Ich bin der
Cutter
. Du bringst das zu Ende, und zwar heute. Soll ich dir bei deiner Botschaft und den Sandmännchen helfen?«
»Ach, schleich dich!«
»Gut.« Schroeter hob seine Jacke auf und griff nach dem Schlüsselbund. »Um vier bin ich wieder hier, dann machen wir
Theophanes
fertig und schicken ihn ab. Bis dahin findest du mich im Bordell. Geht auf deine Rechnung.«
Es war sehr still im Schneidekeller.
Saturn. Erde. Musik. Die Erde, in die Lena da greift – das ist noch einmal: die Erde, der Planet. Aber was ist mit Lenas Gesicht? Wo ist der Bezug zwischen Planeten und ihr? An Astrologie glaubt sie nicht, das ist vielleicht das einzige Vernünftige an ihr. Eine Sternguckerin war sie auch nie. Glaube ich.
Jenissej entschied sich, einen alten Trick anzuwenden. Er half nicht immer, aber oft. Er stand auf und rannte über die Stufen und Gänge hinüber in den Bühnentrakt. Auf der Bühne standen zwei Leitern mit je einem Beleuchter. Jenissej nahm Anlauf und legte einen Handstand mit Überschlag hin. Sprang auf, lief vor zum Orchestergraben und lief erneut los. Salto vorwärts. Stand. »Moin!«, sagte er zu den verdutzten Männern mit den Scheinwerfern.
Hinter der Bühne riss er eine beliebige Tür auf.
Die Frau mit der Nähnadel erschreckte sich zu Tode. »Ui! Mei!«
Jenissej stellte sich vor sie. »Was machen Sie, Frida?«
»Sie können einen aber auch … na, ich nähe. Für die Buchstabenkulisse. Pia meint, die Großbuchstaben müssen größer sein, auf dem blauen Hintergrund.«
Er kniete sich vor sie und betrachtete die Hand mit ihrer Nadel. »Wie machen Sie das?«
»Wie ich … na, so!« Sie machte ein paar Stiche. »Was meinen Sie, Jenissej?«
»Ich kann nicht nähen. Zeigen Sie es mir.«
Tatsächlich zeigte sie ihm, wie sie das große goldene R auf die Fahne nähte. Er übernahm die Nadel und den Fingerhut. »Ich habe früher mal meine Kostüme selbst gemacht. Ist eine Weile her.« Er nähte beinahe so schnell wie Frida, aber die Stiche waren nicht sauber gesetzt. »Danke!«, sagte er, gab ihr alles zurück und ließ sie verblüfft zurück.
Wenn du mit einer Sache nicht weiterkommst, treibe etwas ganz anderes. Irgendwie ist unser olles Hirn so gepolt. Nach dem Konzentrationswechsel ist es wie nach einer guten Dusche.
Er ließ die Sequenz mit dem Sandplaneten laufen.
Sie will ja
mir
etwas sagen. Also muss sie etwas gesucht haben, das
ich
verstehe. Meine Konzentration auf Lena ist also falsch. Was sagen mir
Planeten?
Und diese Linien? Vielleicht sind das keine Ringe, sondern Umlaufbahnen. Achtmal.
Wann hatte ich … Klar! Kepler. Ich habe ihr – das war aber vor
Jahren
… Ich habe ihr von Keplers Sphärenharmonik erzählt. Aus dem Stück ist bis heute nichts geworden, die Ausgangsidee ist aber weiterhin brauchbar. Genau, sie hat sich damals die Bilder angesehen. Wahrscheinlich eines der letzten Male, dass sie sich für eins meiner Projekte interessiert hat.
Keplers Sphärenharmonik. Was sind die Bestandteile? Erde, Saturn, Umlaufbahnen. Und meine Assoziation mit der Musik war auch nicht falsch. Wie war das noch? Der Saturn steht für die Terz, Jupiter … Nein: Saturn – große Terz. Jupiter – kleine Terz. Mars … Quinte? Die Erde – Halbtonschritt. Komisch, den Halbton für die Erde vergesse ich wahrscheinlich nie.
Offenbar hat sie davon einiges behalten. Sie hat sich endlicheinmal nicht selbst in den Mittelpunkt gestellt, das dumme Lenchen, sondern sie war ein schlaues Lenchen und hat eine Ebene gesucht, auf der sie mit
mir
kommunizieren kann. Jetzt muss ich nur noch kapieren, wie sie das hier à la Kepler verschlüsselt. Eine Erde mit acht Ringen hat auch der nicht im Repertoire gehabt.
21
Dr. Hans-Henrik Fogh betrat sein Büro und schloss hinter sich ab. Auf dem Laptop suchte er die Systemverbindungen zu den Computern der Testreihen. Über die Testreihennummer und die Zugriffszeiten konnte Fogh schnell herausfinden, dass Melina unter dem schönen Usernamen I568LKG180B firmierte.
Dann
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