Jung genug zu sterben
schematisch das Auge des Jupiters. Und das hier vorn sind die vielen Monde des Jupiters! Wie viele hat der?«
Jenissej zuckte die Schultern.
»Geh ins Internet!«, sagte Pia und machte es schon selbst. »Na los! – Da, Jupiter hat – ungefähr 63 Monde. Zum Teil winzige. Möglicherweise noch mehr. – Komm, zähle die Kreise und die Punkte.«
Er kam auf 27.
»Pffffff … Dann weiß ich auch nicht«, sagte sie. »Siebenundzwanzig.Hast du nicht gesagt, zu Europa gehören 27 Staaten?«
»Zur EU, ja. Aber das hat ja nichts mit den Punkten zu tun, oder?«
»Schau mal, einer der kleinen Kreise ist nicht weiß, sondern schwarz ausgemalt. Vielleicht heißt das was.«
28
Der letzte Zug Richtung Tirano hatte die Station Alp Grüm soeben verlassen, Kondukteur Guido Saß hatte mitgezählt: Zwei Reisende waren ausgestiegen, drei Personen zugestiegen – ein Pärchen mit einem Hund und eine einzelne Frau.
Tagsüber standen manchmal Touristen in der Gleiskehre. Sie staunten oder winkten. Jetzt war niemand zu sehen. Und das, obwohl es ein klarer, nicht zu windiger Abend war. In das ganze Puschlav-Tal konnte man hinunterschauen, und in den Bergspitzen schimmerte das Orange-Grau der untergehenden Sonne.
Während der Zug durch Tannen fuhr, musste man drinnen Licht einschalten. Guido Saß erledigte das und sah sich nach dem Pärchen um. Sie saßen im ersten Abteil des ersten Waggons. »Grüessech. Die Billetts, bitte!«
»Grü-ezzi«, sagte der Mann. Er strengte sich sehr an. Dann nickte er seiner Frau zu – ein Zeichen, dass sie die Fahrkarten zeigte, die sie längst in der Hand hielt.
»Ja, me’ci. – Nach Tirano am Abend? – Geht’s zum Essen?«
»Ein Geschenk für meine Frau.«
»Unser Goldener Hochzeitstag«, sagte sie leise.
»Nein, der war gestern«, sagte er und winkte sie weg. »Aber sei’s drum, jedenfalls haben wir heute was bestellt. Haben Sie eine Idee, wo man hinterher noch schön weggehen kann?«
Saß schmunzelte, knipste zweimal und gab der Frau die Tickets zurück. »In Tirano? Nach dem Nachtessen weggehen? Da fällt mir nur das Hotel ein.«
Der Mann lachte, und die Frau war auch nur gespielt geniert. »Na, Sie sind mir einer!«, sagte der Ehemann.
»Ich meinte eigentlich: So viel bietet sich an einem späten Mittwochabend in Tirano wahrscheinlich nicht an. Ich komme nicht von dort … «
»Woher sind Sie denn?«, wollte die Frau unbedingt wissen, und es schien, als warte sie auf ein Autogramm.
»Lebe in Chur. Früher … «
»Kur?«
»Chur, meint er. Nicht Kuur. Chur ist eine Stadt … – Hm, dann kennen Sie nichts da, ist klar … «
»Aber … Ich werde Timo fragen«, sagte Saß. »Timo fährt die Lok. Er ist nicht direkt aus Tirano, aber aus einem Dorf oberhalb, in der Nähe der Burg.«
»Machen Sie sich keine Umstände«, sagte die Frau und war ganz begeistert von der Schweiz.
»Ich muss nur noch durch den Zug gehen und knipsen, dann frage ich Timo, und dann schaue ich vorbei und sage Ihnen, was er meint. In dieser Reihenfolge, so machen wir es, einverstanden?«
Die beiden hatten den Höhepunkt ihres nachgeholten Hochzeitstages erreicht.
Nur der Hund begann zu kläffen.
»Ja, Mauseli, jetzt lass mal den Onkel schön vorbei«, schlug die Jubilarin ihrem Hund vor. Der zerrte an der Leine und wollte sich partout im Beinkleid des Bahnbeamten verbeißen.
»Na komm, Hundchen, mach schön Platz«, sagte Guido Saß und verließ die beiden.
»Siehst du, Irmgard, so was hast du in Deutschland eben nicht«, hörte er noch.
Der zweite Waggon war jetzt komplett leer. Guido nahmeine zerfetzte Zeitung und stopfte sie in den Mülleimer. Die Schlagzeile » … im Blutrausch … « schaute noch heraus.
Im dritten Waggon war das Licht nicht eingeschaltet.
Habe ich das vergessen?
Er knipste das Licht an und sah auf dem kleinen Sockel unter dem Schalter zwei tote Fliegen.
Im vorletzten Waggon saßen ein Mann und ein Frau einander schräg gegenüber. Der Mann legte den Finger auf den Mund und deutete auf die Frau. Dann zeigte er nach oben, zur Lampe.
»Ich mach’s gleich wieder dunkel, der Herr«, flüsterte Guido Saß. »Das Billett, bitte.«
»Ich zahle gleich für die junge Dame mit. Sie scheint mir sehr müde zu sein. Wissen Sie, wie weit sie fährt?«
»Tirano«, flüsterte Guido. »Oh, das ist zu viel, der Herr.«
»Stimmt so.«
»Nein, nein, das ist mir nicht erlaubt. Moment. Hätten Sie eventuell noch fünf Rappen? Ja, so passt es, me’ci vilmols.
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