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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Ich habe Sie gar nicht einsteigen sehen.«
    Der Mann zuckte mit den Schultern und lächelte.
    »Na dann. Gute Fahrt!«
    Der Vollständigkeit halber schaute Saß in das letzte Abteil. Wie erwartet war niemand dort. Aber eine Flüssigkeit war aus dem Papierkorb ausgelaufen und bildete eine Lache.
    Na wunderbar! Und niemanden, den man dafür behaften kann. Ist aber nicht meine Sache. Klebrige Limonade. So, was wollte ich? Ach ja, das Hauptlicht dimmen.
    Er nickte dem Mann noch einmal zu und lief zum ersten Waggon vor. Bevor er zur Lok gelangt war, kam eine Hand aus dem Abteil geschossen.
    »Wir haben uns gerade gefragt, wie eine Fahrt mit dem Glacier-Express sein würde.«
    »Ich bin gleich bei Ihnen, die Herrschaften.«
    Das ist doch diese kleine Italienerin. Ricca   … Riccarda, ja. Die neue Lehrtochter auf der Alp. Nettes Mädchen. Und schuftet offenbar ’ne Menge. Fährt jetzt bestimmt auch schon seit gut einem Monat mit uns. Ganz erschöpft, die Arme.
    Guido Saß wollte gerade die Tür zum Fahrerstand öffnen. Die Lok war gleichzeitig zur Hälfte Personenwaggon.
    Aber Riccarda hat ein Monatsticket. Der Mann hätte gar nicht für sie zahlen müssen!
    Er kehrte um.
    Der Hund bellte.
    Die Frau wünschte sich dies und das von ihrem Hund.
    Der Mann winkte Guido zu.
    Er ging durch den verwaisten zweiten Waggon. Im dritten war es gerade noch hell genug, nicht zu stolpern.
    Riccarda saß in die Ecke gelehnt, genau wie eben. Sie hatte sich ihre Jacke über die Schulter und den Oberkörper gelegt. Offenbar fror sie.
    Der Mann war nicht mehr da.
    Guido Saß schaute im letzten Abteil nach ihm. Dann auf der Toilette, aber die war unverschlossen und leer.
    Ich muss ihm das Geld zurückgeben. Er kann ja nicht verschwunden sein.
    Im Halbdunkel betrachtete er Riccarda, wie sie da kauerte.
    Der Zug schlingerte und wurde langsamer.
    Ach du je, ich hab die Station Cavaglia verschwitzt!
    Vielleicht steigt er ja aus.
    Doch keine der Türen öffnete sich. Niemand stand auf dem Bahnsteig, niemand stieg aus. Guido schaute zur anderen Seite hinaus, obwohl es da nur über das Feld ging.Auch dort waren die Türen geschlossen. Er trat hinaus und gab im Dämmerlicht das Signal. Der letzte Zug setzte sich in Bewegung.
    Er ging zurück, aber der Mann hatte sich nicht wieder in Riccardas Abteil eingefunden.
    Ich kann das Geld nicht behalten. Eine Pendenz kann ich nicht verantworten.
    Er suchte die Münzen passend heraus, was im Halblicht nicht so leicht wahr. Legte den abgestempelten Fahrschein daneben.
    Ich kann es ihr erklären, wenn wir uns das nächste Mal im Zug sehen.
    Er platzierte alles auf dem schmalen Fensterbrettchen neben ihr.
    Irgendwie war er dabei an ihre Decke geraten. Er nahm sie, zog sie ein Stück hoch und wollte Riccarda wieder sorgsam zudecken.
    Doch ihr Kopf kippte nach vorn.
    Ihre Augen waren offen, ebenso ihr Mund.
    Guido Saß starrte sie an.
    Er stolperte hinaus und suchte den Lichtschalter.
    Im Neonlicht war ihr Gesicht weiß, und das dunkelrote Tuch um ihre Taille war kein Tuch.

29
    »Halt die Klappe, du Hure!«
    Das Mädchen mit dem üppigen T-Shirt -Ausschnitt schlug Ben mit der Faust in den Bauch. Er krümmte sich auf der Couch und lachte.
    »Kira! Ben! – Was habe ich eben gesagt?«
    Die fünf Jugendlichen zeigten sich nicht übermäßig beeindruckt von der Ermahnung ihres Erziehers. Saphira, Biggi und Fabio waren damit beschäftigt, Melina zu taxieren. Sie saß auf der einen Couch, die Hände auf den Knien, die fünf Jugendlichen stapelten sich auf der Couch gegenüber, knufften sich oder lehnten sich aneinander.
    »Also gut«, sagte Melina. »Lena war mittwochs und donnerstags abends bei euch, und das seit Januar. Auf Reisen wart ihr nicht mit ihr, weil ihr noch keine Reise machen durftet. Was blieb dann? Hilfe bei den Hausaufgaben, Spiele, Wanderungen, Ausflüge. Sonst noch was?«
    »Gruppensex«, sagte Ben und kicherte.
    Kira verdrehte die Augen, musste dann aber grinsen.
    »Aha. Und Orgien«, sagte Melina. »Und abgesehen von den langweiligen Sachen – irgendwas Interessantes?«
    »Sie kann Fußball spielen«, sagte Biggi, während sie an ihren Fingernägeln herumwetzte.
    »Okay   … Wie war Lena denn so, in letzter Zeit?«
    »Gut zu vögeln!«, rief Ben, klatschte sich mit Fabio ab und prustete. Hiebe von allen Seiten.
    Melina stand auf. »Könnt ihr euch mal hierhersetzen? Es ist genug Platz.«
    »Sie können sitzen, wie sie wollen«, sagte der Erzieher aus dem Hintergrund.«
    »Ja, aber   … «

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