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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Dieser
Polizist, hast du den Eindruck, er nimmt die Sache ernst? Das
mit der Reise in die Schweiz scheint ihn gar nicht zu kümmern. Für mich ist er überfordert.
    Immerhin ist Jenissej nicht sauer auf mich.
    Der Schlüssel zum Verständnis von Lenas Filmen ist Keplers
Sphärenharmonik. Da geht es um die Planeten des Sonnensystems
– das ist eine Sprache, in der Lena mit mir zu
kommunizieren versucht. So weit bin ich.
    Schon Aristoteles wusste, dass es im All keine Luft gibt, also
war er sich sicher, dass Planeten auch keine Geräusche machen, wenn sie sich bewegen. – Aber andere glaubten daran.
Sie meinten, die elliptischen Planetenbahnen enthielten Formeln
und mit ihnen das Geheimnis der Welt. Jedes Verhältnis
des sonnennächsten und des sonnenfernsten Punktes einer
Bahn ergibt ein Zahlenverhältnis, und das übersetzte man
in die Musik. Zuerst die Fans von Pythagoras, später auch
Kepler. Man nahm längst nicht mehr an, dass Planeten wirklich
eine Terz oder eine Quinte erzeugen, wenn sie durchs
Universum kreisen. Aber an die Geheimnisse der Mathematik
glaubte man. Im Barock dachten die Menschen, ihre Gefühle
müssten einen Widerhall in grundsätzlichen Prinzipien finden.
    Lena erinnert sich offenbar, dass ich mit der Sphärenmusik
choreographieren wollte. Daraus ist zwar nur die Gestaltung
eines Kirchsaals geworden, aber egal. Ich sitze weiter an der
Datei. Was ich finde, sage ich dir sofort. Wo bist du, ich habe
dich nicht am Telefon erreicht?
    Wenn ich ihn anrufe, reiße ich ihn aus seiner Konzentration. Er soll ruhig weiter über Lenas Film brüten. Außerdem habe ich nichts, was ich ihm mitteilen kann.
    Sehr geehrter Jenissej, Hauptkommissar Melchmer interessierte
sich zuerst gar nicht für meine Anzeige, dann fragte er
mich aus über die Arbeit am Institut und über die Fallstricke
der Pubertät, wie er es nannte. Ich glaube auch nicht, dass er
in Vermisstensachen sonderlich kompetent ist, aber vielleicht
gibt er den Fall ja an routiniertere Leute ab. Ich überlege,
ob   …
    Das Telefon klingelte.
    »Jonas Somber,
Institut Professor Zucker,
guten Tag. – Melina – von – Lüttich?« Er schien den Namen abzulesen. Sie hatte den Namen Somber und die Stimme noch nie gehört.
    »Ja   … «
    »Frau – von Lüttich, wir haben ein Problem. Können Sie sich vorstellen, worum es geht?«
    »Nein. Ehrlich gesagt, nicht.«
    »Das Problem stellen Sie dar. Es ist zutreffend, dass Sie als studentische Hilfskraft bei uns sind? Sie wissen, dass es bei einem Vertrag wie dem Ihren keine Kündigungsfristen gibt,ja? Die Verwaltung des Instituts dankt Ihnen für Ihre Tätigkeit bei uns und hat sich – natürlich auf der Grundlage einer reiflichen Überlegung und Abwägung – entschieden, auf Ihre Zuarbeit
ex nunc
zu verzichten.«
    »Wieso denn?«
    »Wieso? – Sagt Ihnen die Familie Akyürek etwas?«
    »Nein. Aky   … Nein.«
    »Herr und Frau Akyürek waren zutiefst bestürzt, wie ihr Sohn im
Institut Zucker
behandelt wurde. Er sei einer hochnotpeinlichen Befragung ausgesetzt worden, die   … – ich wähle hier lieber meine eigene Formulierung – an Verhörmethoden der dunkelsten Vergangenheit Deutschlands erinnert. Dabei sei nicht nur ihr Sohn, sondern die ganze Familie verbal in den Schmutz gezogen worden.«
    »Ich weiß nicht mal, worum es geht, Herr   … «
    »Akyürek! Die Familie besitzt einen Fruchthof in Berlin. Ihr Sohn hat sich als Testperson zur Verfügung gestellt und kommt seit dreieinhalb Jahren regelmäßig zu uns. Die Familie Akyürek verlangt dafür kein Geld, auch kein Taschengeld für den Sohn. Die Familie Akyürek hat immer wieder bedeutende Summen gespendet. Die Familie Akyürek hat ihr Vertrauen in uns gesetzt, und das ist nun erschüttert.«
    »Was habe ich denn gemacht?«
    »Na, muss ich Ihnen das wirklich   …? Sie stürmen in eine Sektion, der Sie nicht zugeteilt sind. Sie verschaffen sich Zutritt zu einer Gruppe Jugendlicher und zu einer Testreihe, für die Sie nicht zuständig sind. Das müssen Sie wissen, Sie sind lange genug bei uns unter Vertrag, wie ich das hier sehe. Sie schnappen sich den Jungen und setzen ihn seelisch unter Druck. Bülent ist nach Auskunft von Herrn Akyürek in psychologischer Behandlung nach diesem Geschehen!«
    »Bülent   …!«
    »Sag ich doch, dass Sie wissen, worum es geht! Ich wollte mir die Bänder des Gesprächs ansehen. Dann habe ich festgestellt, dass es gar keine gibt! Sie haben die Kameras einfach ausgeschaltet! Die Regel besagt: keine

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